Lebenslänglich für zwei Brüder aus Langenselbold

Schlüchtern
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Zwei Brüder aus Langenselbold sind am Mittwoch vom Landgericht Hanau wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt worden. Die 1. Große Schwurgerichtskammer unter Vorsitz von Dr. Peter Grasmück sah es als erwiesen an, dass Michael und Andreas S. in der Nacht vom 29. auf den 30. Dezember 2010 mit einem bislang noch unbekannten dritten Täter zwei Tierärzte in deren Wohnhaus in Schlüchtern brutal überfallen und schwer verletzt haben.

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Die Verurteilung vom Landgericht Fulda zu jeweils neun Jahren Haft für einen Überfall auf einen Priester in Flieden nur wenige Tage vor der jetzt angeklagten Tat floss in diese Entscheidung mit ein. Ebenso eine Verurteilung vom Amtsgericht Hanau: Beide hatten am 28. Januar 2011 versucht, mit einer Kette, die an die Anhängerkupplung eines Kleinbusses gebunden war, den Geldautomaten aus dem Eingangsbereich des Toom-Marktes in Rodenbach herauszureißen. Damals wurden sie bereits von der Polizei observiert und noch auf dem Parkplatz des Supermarktes verhaftet.

Die Brüder leugneten in dem Indizienprozess bis zum Schluss die Tatvorwürfe: Michael S., 54 Jahre alt, brach nach der Urteilsverkündung zunächst in Tränen aus und widersprach anschließend Richter Grasmück mehrfach bei seiner Urteilsbegründung. Sein Bruder Andreas, 44 Jahre alt, schüttelte anfangs nur den Kopf, zeigte dann dem Gericht den Vogel und bezeichnete Grasmück als Penner. „Das ist kein Urteil, das ist Wahnsinn was sie hier ausgesprochen haben“, kommentierte er die Entscheidung der Strafkammer. Michael S. wiederholte am letzten Verhandlungstag zudem seine bereits zuvor gemacht Aussage: „Wir haben damit nichts zu tun, aber ich weiß, wer der Täter ist.“ Auf die Frage von Grasmück, warum er dann keine Namen nenne, schrie er los: „Ich habt doch nichts zugelassen hier, die laufen draußen rum, hoffentlich hauen die noch mehr tot.“ Allerdings fehlte beiden ein Alibi: Michael S. wollte in der Tatnacht in einer Langenselbolder Kneipe gefeiert haben, sein Bruder Andreas war angeblich bei seiner damaligen Lebensgefährtin. Die gehörten Zeugen bestätigten dies allerdings nicht.

Das Gericht ging in dem Indizienprozess daher von folgendem Tathergang aus: Gegen 0.30 Uhr sind am 30. Dezember 2010 drei maskierte und dunkel gekleidete Männer über einen gläsernen Hintereingang in das Wohnhaus in Schlüchtern eingebrochen, obwohl einer der 50- und 55-jährigen Tierärzte, ebenfalls Brüder, noch im Wohnzimmer vor dem Fernseher saß. Der 50-Jährige stellte sich den vermeintlichen Einbrechern entgegen, wurde von Michael S. aber mit einer Eisenstange zu Boden gedrückt und anschließend geschlagen und getreten. Als der 55-jährige Tierarzt zu der Auseinandersetzung dazu kam, wurde er ebenfalls sofort überwältigt. Insgesamt 13 gewaltsame Einwirkungen wurden später bei ihm festgestellt, unter anderem bildete sich eine Einblutung unter der Schädeldecke. Er überlebte diesen Überfall nur mit viel Glück. Während er brutal misshandelt wurde, konnte sich sein ebenfalls schwer verletzter Bruder („Die sind hier, um dich umzubringen, das war mein Eindruck“) befreien und von der genau dem Wohnhaus gegenüberliegenden Polizeistation Hilfe holen. Auch der über 80-jährige Vater der beiden Tierärzte war inzwischen wach geworden und rief laut um Hilfe. „Der Widerstand war vorprogrammiert, das war allen drei klar“, ging das Gericht davon aus, dass die Täter zumindest den Tod ihrer Opfer billigend in Kauf genommen hatten. Das tatbeherrschende Motiv sei die Habgier gewesen, so Grasmück, „sie wollten an das Geld ran“. Ob sie allerdings tatsächlich wussten, dass sich ein hoher sechsstelliger Geldbetrag im Haus befand, blieb ungeklärt.

Zwei Minuten, nach dem der 50-jährige Tierarzt in die Polizeistation gestürmt war, trafen die ersten Beamten am Tatort ein, die drei Männer waren da aber schon ohne Beute verschwunden. Nur wenige Tage später war ihnen die Kriminalpolizei aber bereits auf der Spur – die Ermittler hatten wohl einen Tipp bekommen, aber auch die Vorgeschichte der beiden Brüder aus Langenselbold ließ schnell auf sie schließen. Michael S. hat bereits 1974 im Alter von 15 Jahren eine Rentnerin in seiner Heimatstadt ermordet, die ihn bei einem Einbruch überrascht hatte. In den folgenden Jahrzehnten legte er eine beispiellose kriminelle Karriere hin, die ihn des Öfteren ins Gefängnis brachte. Andreas S. saß von den vergangenen 20 Jahren 18 hinter Gittern, unter anderem wegen drei Banküberfällen. Erst wenige Wochen vor den beiden Taten in Flieden und Schlüchtern war er wieder auf freien Fuß gekommen.

Überführt wurden sie letztlich dank moderner Technik: Faserspuren eines Handschuhes von Michael S., den die Polizei in seiner Wohnung in Rodenbach fand, wurden auf der Kleidung von einem der Tierärzte gefunden. Dass es sich tatsächlich um seinen Handschuh handelt, wurde mittels DNA-Spuren nachgewiesen. „Aufgrund dieses starken Indizes bedarf es nur noch vieler kleiner Bausteine“, waren für das fünfköpfige Gericht laut Grasmück die Parallelen zum Überfall auf den Priester in Flieden, auch hier führten Faserspuren zu den Brüdern, ebenfalls ausschlaggebend. Zudem berief sich die Kammer auf so genannte Geo-Daten: Bereits um 14 Uhr am 29. Dezember 2010 war das Handy von Michael S. im Bereich das Tatortes im Raum Schlüchtern eingeloggt, am Abend fanden dann von Rodenbach aus drei Gespräche mit dem bislang noch nicht angeklagten vermeintlichen dritten Täter statt. Um 23.30 Uhr verlagern sich die Handyspuren wieder von Langenselbold aus auf die A66 in Richtung Schlüchtern, wo das Telefon ausgeschaltet wurde. Um 2.34 Uhr loggte es sich dann wieder in einen Sendemast im Raum Rodenbach ein.

Bei Andreas S. führten ähnliche Indizien zu einer Verurteilung: Wie schon beim Überfall in Fulda wurden Faserspuren seiner Jacke auf einem Kleidungsstück der Opfer in Schlüchtern gefunden. Die Geo-Daten seines Handys stimmen mit denen seines Bruders überein, genau so wie Michael S. hat auch er kein Alibi. Bei einer Telefonüberwachung nach der Tat wurde zudem Gespräche der Brüder mit Sätzen wie „Die hat Klunker an, die hab‘ ich im Lidl-Markt gesehen, da muss ich noch mal gucken“ aufgezeichnet, die das Gericht als Hinweise auf weitere Tatpläne wertete. Auf das Konto der Langenselbolder könnte dabei zum Beispiel ein Einbruch in einen Supermarkt in Herbstein am 17. Januar 2011 gehen. Hier waren drei Täter, ähnlich wie beim Toom-Markt in Rodenbach, nachts mit einem Kleinbus in den Eingangsbereich gefahren und hatten Zigaretten geklaut. Und zur Tatzeit waren die Handys von Michael und Andreas S. in diesem Bereich eingeloggt.

„Ihr kriminelle Energie ist äußerst hoch“, attestierte ein Gutachter in der Verhandlung in Hanau beiden Tätern und sah vor allem bei Andreas S., dessen neue Lebensgefährtin schwanger ist, eine hohe Rückfallwahrscheinlichkeit. Auf eine Sicherheitsverwahrung im Anschluss an die in der Regel 15 Jahre dauernde lebenslange Haftstrafe wurde aber auch bei ihm verzichtet, allerdings stellte die Schwurgerichtskammer bei beiden eine besondere Schwere der Schuld fest. Und dies hat ähnliche Folgen: Sowohl bei Michael als auch bei Andreas S. wird erst an einem unbestimmten Zeitpunkt nach Ablauf der 15 Jahre geprüft, ob sie auf Bewährung entlassen werden können. Aufgrund ihrer kriminellen Vergangenheit und den äußerst schlechten Prognosen ist es somit unwahrscheinlich, dass sie noch einmal in Freiheit leben werden.

Bleibt noch die Frage nach dem in dieser Sache bislang nicht angeklagten dritten Täter, dessen Identität aber offenbar gar nicht so unbekannt ist. Mehrfach fiel in der Verhandlung der Name eines Mannes, der an den Überfällen in Flieden und Schlüchtern beteiligt gewesen sein könnte. Die Mutter dieser Person hatte ihren Hund von einem der Tierärzte aus Schlüchtern behandeln lassen und anschließend die Rechnung nicht bezahlt. Das Amtsgericht verurteilte sie deswegen wegen Betruges, den Strafbefehl erhielt sie erst wenige Tage vor den Verbrechen im Dezember 2010. Am Tattag telefonierten die beiden Brüder zudem dreimal mit dieser Person. Dieser Mann aus dem Raum Langenselbold ist ebenfalls polizeibekannt und soll bei den weiteren Taten im Januar 2011 nur nicht mehr dabei gewesen sein, weil er da wegen einer anderen Verurteilung bereits wieder im Gefängnis saß. Da von ihm aber keine Faserspuren gefunden wurden und er von den beiden Brüdern aus Langenselbold noch nicht verpfiffen wurde, geht er in dieser Sache bislang straffrei aus.

Darauf hoffen Michael und Andreas S. auch noch. Direkt nach der Urteilsverkündung wiesen sie ihre Verteidiger im Gerichtssaal an, Revision gegen die Verurteilung zu lebenslangen Haftstrafe einzulegen. Dies hatten sie auch nach dem Urteilsspruch vom Landgericht Fulda zum Überfall auf den Priester im Pfarrhaus gemacht, sind damit aber beim Bundesgerichtshof gescheitert. Michael S. hatte damals als Alibi angegeben, zur Tatzeit mit seiner Familie Nussecken gebacken zu haben.


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