Die Wucht der Bücher

Hessen
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Die Bibliothek des Hessischen Landtags umfasst mehr als 30.000 Bücher. Nicole Baier kümmert sich um die Werke und darum, dass der Präsenzbestand immer auf dem neuesten Stand ist. Manchmal dreht sie auch am Rad.



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Hinter der großen, grünen Holztür riecht es nach altem Papier. Nicole Baier drückt auf einen Lichtschalter, flackernd erleuchten Neonröhren das Schlossgewölbe. Dort, im Herzen des Wiesbadener Stadtschlosses, stehen dicht an dicht rund 30.000 Bücher in den Regalen der Landtagsbibliothek. Baier – 26 Jahre alt, groß, dunkles Haar – greift hinten im Gang nach einem Buch. Es ist das erste Werk, das der Hessische Landtag jemals angeschafft hat, damals, im Jahr 1949. Der Titel ist stilecht und passgenau: Die „Geschichte der Weimarer Verfassung“ von Rechtsprofessor Willibalt Apelt, erschienen 1946, im Jahr nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Ausgerechnet die Weimarer Verfassung – beschlossen im Juli 1919 und später auf tragische Weise verbunden mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten und deren Schreckensherrschaft. Ein Buch wie eine Mahnung vor dem Missbrauch der Macht.

Nicole Baier arbeitet seit 2017 im Hessischen Landtag. Ihre Ausbildung zur Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste im Bereich wissenschaftliche Bibliotheken hat die Frau aus Südhessen in der Unibibliothek Mannheim gemacht. Auf dem Buch zur Weimarer Verfassung, das sie aufgeschlagen in Händen hält, klebt ein Stückchen rotes Gewebeband mit der Signatur „49/1“ – 49 steht für das Anschaffungsjahr, 1 für die laufende Zahl des Jahres. Fachleute bezeichnen eine solche Methode der Magazinierung als „Numerus Currens“, als „Fortlaufende Nummer“.

Baier dreht am Rad. Genauer gesagt, an einer Kurbel mit drei Griffen, befestigt an jeder Kopfseite der vielen Metallregale. Fast lautlos gleitet eine Metallwand nach links, zwischen dem zweit- und dem drittletzten Regal entsteht eine Lücke, durch die Baier in einen schmalen Gang und bis ans Ende zweier Bücherregale treten kann. Weil nicht dauernd zwischen allen Regalen solche Lücken bestehen müssen, spart eine solche „Compactus-Anlage“, wie sie in fast allen Bibliotheken zu finden ist, eine Menge Platz. Benannt ist sie nach dem Hersteller. Wer mit einer Kurbel allerdings mehr als drei vollgepackte Regale auf einmal verschieben will, braucht ein wenig Kraft.

Die 30.000 Bücher in dem Steingewölbe bilden den Ausleihbestand des Hessischen Landtags. Wer ein Werk benötigt, kann Nicole Baier anrufen oder ihr mailen, sie schickt das Buch dann auf den Weg – zu Abgeordneten, Fraktionsmitarbeitern oder Kolleginnen aus der Landtagskanzlei. Auch ein kleiner Teil des Printarchivs befindet sich dort in Leitzordnern aus brauner Pappe. Gemeint damit sind all jene Initiativdokumente, die der Landtag in den Wahlperioden 19 (2014 bis 2019) und 20 (seit 2019) selbst erstellt hat. Die älteren Teile des Printarchivs aus früheren Wahlperioden lagern eine Etage tiefer. Sie werden nur selten benötigt.

Im Hof, links hinter dem Einfahrtstor, befindet sich der zweite Teil der Landtagbibliothek. Zurzeit ist der Präsenzbestand aus etwa 700 Büchern in Büro-Containern untergebracht. Eigentlich hat die Präsenzbibliothek in zwei Räumen des historischen Stadtschlosses ihr Zuhause. Doch das alte Gebäude wird gerade renoviert. Der Präsenzbestand, zu dem unter anderem eine umfangreiche juristische Kommentarliteratur zählt, wird ständig aktualisiert. Baier kauft ungefähr 500 Bücher im Jahr, die meisten sind für die Nutzung in der provisorischen Container-Bibliothek gedacht. Wer dort zum Beispiel einen bestimmten Aufsatz sucht, kann nach ihm suchen und ihn selbst kopieren. Wer schon genau weiß, was er benötigt, kann auch Nicole Baier oder ihren Vertreter bitten, das Passende herauszusuchen. Außerdem verwaltet das Team die Zeitungsabonnements und Lizenzen des Hessischen Landtags.

Für Untersuchungsausschüsse und Enquetekommissionen bildet Nicole Baier Handapparate, wie für Seminare und Vorlesungen an Universitäten. Das heißt, sie stellt eine Auswahl wichtiger Bücher zu den jeweiligen Themen zusammen. Auch die Abgeordneten, die oft jahrelang als Mitglieder in solchen Gremien arbeiten, können Literaturwünsche äußern. So finden sich auf einem Regalbrett etliche Werke mit blauem Punkt und Titeln wie „Strategische Radverkehrsförderung“ oder „Der Verkehr sind wir“ – das sind die Bücher für den Handapparat der Enquetekommission „Mobilität der Zukunft in Hessen 2030". Wenig weiter stehen Bücher mit einem gelben Punkt und Titeln wie „Handbuch Rechtsextremismus“ oder „Rechter Terror“. Dessen Autor Martín Steinhagen wiederum nimmt als Journalist regelmäßig an Sitzungen des Untersuchungsausschusses des Hessischen Landtages zu den Morden am früheren Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke teil.

Ehrensache, dass eine Bibliotheksmitarbeiterin selbst viel liest. „Hauptsächlich Biographien“, sagt Nicole Baier. Gerade beschäftigt sie sich mit dem Leben des US-Schauspielers Will Smith. Der schreibt über seine Eltern den Satz: „Dazu gab es noch sehr merkwürdige Gemeinsamkeiten – Dinge, bei denen man unwillkürlich auf den Gedanken kam, dahinter könne nur Gottes Plan stecken.“ Klingt interessant. Vielleicht sollte Baier das Buch für die Landtagsbibliothek erwerben.

Fotos: Hessischer Landtag


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