Hessen: Rechtsextremist wollte Bürgerkrieg entfachen

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Der 5. Strafsenat - Staatsschutzsenat - des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG) hat am Montag den 21-jährigen Marvin E. der versuchten Gründung einer terroristischen Vereinigung als Rädelsführer und der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat in Tateinheit mit vorsätzlichem Besitz unkonventioneller Sprengvorrichtungen und mit vorsätzlichem unerlaubten Umgang mit explosionsgefährlichen Stoffen schuldig gesprochen und ihn deswegen zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt.



In der mündlichen Urteilsbegründung führte der Senat heute aus, dass für ihn aufgrund der an 40 Verhandlungstagen durchgeführten Hauptverhandlung zur Überzeugung Folgendes feststehe: Der Angeklagte habe auf Basis seiner von Sommer 2019 an bestehenden rechtsextremistischen Gesinnung spätestens Anfang 2021 Kenntnis von der international aktiven rechtsextremen terroristischen Vereinigung „Atomwaffen Division“ (AWD) erlangt. Deren Ideologie habe er vollständig übernommen und spätestens Anfang Juli 2021 den Entschluss gefasst, nach ihrem ideologischen Vorbild eine unabhängige und regional auf Hessen beschränkt sowie dauerhaft agierende Gruppierung mit dem Namen „Atomwaffen Division Hessen“ zu gründen.

Der Ideologie der AWD folgend habe die „Atomwaffen Division Hessen“ mit dem Ziel der Zerschlagung des herrschenden Systems und der Etablierung einer „weißen Vorherrschaft“ nach dem Vorbild des Nationalsozialismus durch die Begehung von Gewalttaten bis hin zu tödlichen Anschlägen einen Rassen- und Bürgerkrieg auslösen, vorantreiben und in diesem Krieg kämpfen sollen. Opfer hätten die Vertreter der herrschenden staatlichen Strukturen und die ideologischen Feinde sein sollen, namentlich Politiker als Repräsentanten des demokratischen Rechtsstaats sowie all die Personen, die nicht dem Rassenbild der AWD entsprachen, darunter Menschen jüdischen Glaubens oder dunkler Hautfarbe und Migranten, die aus dem „Lebensraum der weißen Rasse“ zu verjagen und zu töten seien.

Zur Erreichung des Ziels seiner Gruppe und der Rekrutierung weiterer Mitglieder habe der Angeklagte neben offensiver Propaganda u. a. den Einsatz von Sprengsätzen und Schusswaffen geplant. Strukturell habe der Angeklagte sich selbst und einen Freund als Anführer der Gruppe, die insgesamt aus fünf Personen hätte bestehen sollen, gesehen. Den Freund habe der Angeklagte im Juli 2021 zu verschiedenen Gelegenheiten angesprochen, ob er Mitglied in der „Atomwaffen Division Hessen“ werden wolle. Daneben habe der Angeklagte verschiedene Online- und Werbeaktivitäten entfaltet und habe für die Nacht vom 18. auf den zum 19. September 2021 das Aufhängen von Plakaten für die „Atomwaffen Division Hessen“ in Kassel vorbereitet.

Zudem sei der Angeklagte spätestens Anfang September 2021 fest dazu entschlossen gewesen, im Sinne der Ideologie der „Atomwaffen Division Hessen“ einen tödlichen Anschlag zu begehen. So habe er sich bereits ab Juli 2021 auf die Suche nach geeigneten Schusswaffen begeben. Diesem Zweck habe er ferner fünf von ihm vorgehaltene, potentiell tödliche, unkonventionelle Sprengvorrichtungen gewidmet, die er Anfang September 2021 in einem Metallkoffer verstaut und bis zu seiner Festnahme in seinem Zimmer verwahrt habe. Außerdem habe er Ausgangsstoffe wie fertiges explosionsgefährliches Magnesium-Schwefel-Gemisch (Blitzknallsatz), Magnesium- und Schwefelpulver sowie pyrotechnische Gegenstände in Form von Zündungen zurückgelegt, die er für die Herstellung weiterer Sprengvorrichtungen zur Begehung des Anschlages verwenden wollte.

Unabhängig von seinen Anschlagsplänen habe der Angeklagte bis zu seiner Festnahme weitere pyrotechnische Gegenstände aufbewahrt. Sämtliche unkonventionellen Sprengvorrichtungen, pyrotechnischen Gegenstände und den Blitzknallsatz habe der Angeklagte seit Februar 2021 - zunächst noch ohne konkreten Bezug zur „Atomwaffen Division Hessen“ bzw. der Begehung eines Anschlages - aus Materialien, die er zuvor über das Internet bezogen habe, in seinem Zimmer sukzessive selbst hergestellt. Die unkonventionellen Sprengvorrichtungen hätten wegen darin verbauter Stahlkugeln eine tödliche Sprengkraft gehabt. Außerdem habe der Angeklagte über mögliche Anschlagsziele recherchiert. Zu der Plakatierung in Kassel, weiteren Rekrutierungsbemühungen und Anschlagsvorbereitungen sei es nicht gekommen, weil der Angeklagte am 16. September 2021 festgenommen wurde. Der Angeklagte befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Der Senat hat in der am 2.8.2022 begonnenen Hauptverhandlung, in der der Angeklagte überwiegend geständig war, eine Vielzahl an Zeugen und Sachverständigen vernommen. Wegen des Vorliegens erheblicher Reife- und Entwicklungsverzögerungen auf den im Tatzeitraum 19-jährigen Angeklagten hat der Senat Jugendstrafrecht angewendet.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Nach Rechtsmittelverzicht durch den Angeklagten und seine Verteidiger kann der Generalbundesanwalt noch Revision einlegen, über die der Bundesgerichtshof zu entscheiden hätte. Der Senat hat die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet.


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