Nach Geisterfahrt auf A66: Angeklagter schläft im Gericht ein

Blaulicht
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Die Gerichtsverhandlung im Amtsgericht Gelnhausen gegen den Mann aus dem Wetteraukreis begann mit einigen Minuten Verspätung. Der betagte Herr benötigte einen Moment länger, um in den Saal 124 im ersten Stock des Amtsgerichts Gelnhausen zu kommen. Schließlich ist der 92-Jährige nicht mehr so gut Fuß und musste auch noch eine Treppe bewältigen. Wenige Minuten nach dem angesetzten Termin erreichte er dann, auf seinen Rollator gestützt, die Anklagebank, wo schon sein Verteidiger auf ihn wartete – und natürlich das gesamte Gericht. Schick hatte er sich gemacht mit seinem bunten Schlips.



Ein Angeklagter in diesem hohen Alter ist in der Barbarossastadt nicht alltäglich. Auch der Vorwurf der Staatsanwaltschaft nicht. Demnach soll der Mann in den Mittagsstunden des 27. Mai vergangenen Jahres mit seinem Mercedes Benz auf der Autobahn 66 in Richtung Fulda unterwegs gewesen sein. Ziel war die Kurstadt Bad Orb, wo er einen Termin hatte. Zunächst verlief die Fahrt auch ohne Vorkommnisse. Doch, um in die Kurstadt zu kommen, musste ein Hindernis bewältigt werden.

Seinerzeit befand sich genau auf Höhe der Ausfahrt Bad Orb/Wächtersbach eine Baustelle, die beiden Fahrbahnen waren aufgeteilt. Wer also dort abbiegen wollte, so war es ausgeschildert, musste sich frühzeitig auf der rechten Spur einordnen, weil die linke über die Gegenfahrbahn an der Anschlussstelle vorbeigeleitet wurde.

Diesen Hinweis übersah der 92-Jährige offenbar, so dass er zunächst an der Ausfahrt vorbeifuhr. Doch das wollte der Herr so nicht hinnehmen. Auch nicht einen Umweg über Bad Soden-Salmünster. Schließlich hatte er jetzt einen Termin in der anderen Kurstadt. Also bremste er am Ende der Baustelle auf der linken Spur ab, um nach rechts abzubiegen. Zu diesem Zeitpunkt musste wohl schon der nachfolgende Verkehr abbremsen. Weil aber auch auf der rechten Spur einiger Betrieb in Richtung Fulda unterwegs war, fuhr er doch zunächst gemäß der Vorgabe ein Stück weiter. So jedenfalls beschrieben es zwei Mitarbeiter der Straßenmeisterei, die zufällig zu diesem Zeitpunkt nur wenige Meter entfernt beschäftigt waren und auf das ungewöhnliche Fahrverhalten aufmerksam wurden.

Damit glaubte das Duo, dass die gefährliche Situation entschärft war. Mitnichten. Als sie kurz danach wieder aufblickten, hatte es der Mercedes-Fahrer tatsächlich geschafft auf der Fahrbahn zu wenden. Er bewegte sich nun mit seiner Limousine als Geisterfahrer auf der rechten Fahr- beziehungsweise Standspur. Die beiden Arbeiter handelten geistesgegenwärtig sofort. Während eine 51-Jährige ihr Handy zückte und wichtige Beweisfotos von der Szenerie machte, signalisierte der 52-jährige Kollege dem Wetterauer, am Straßenrand umgehend anzuhalten. Anschließend betätigten sie sich als Hilfspolizisten, regelten den Verkehr und riefen die Polizei.

Das alles schmeckte dem 92-Jährigen offenbar nicht so, wie die Zeugen weiter beobachteten. Dem Hinweis, den Motor auszumachen, kam er nur zögerlich und dann nur für einen kurzen Moment nach. Weil er das Auto weiter rollen ließ, musste sich der 52-Jährige schließlich vor den Wagen stellen, damit die Fahrt endgültig endete. Und für die Konversation mit den Zeugen öffnete der Fahrer nur ein kleines Stück das Fahrerfenster.

Im Amtsdeutsch heißt das Vergehen „Gefährdung des Straßenverkehrs“. Und dazu wollte der Mann vor Gericht keinerlei Aussage treffen. Er schwieg. Das ist sein gutes Recht. Das Reden überließ er lieber seinem Anwalt. Und der hatte viele Fragen an die Zeugen und das Gericht. Den Angeklagten ermüdete die ganze Szenerie wohl eher. Jedenfalls sackte irgendwann sein Kopf nach unten, und er schlief ein. Er musste erst wieder geweckt, um den Verlauf der Verhandlung weiter zu folgen.

Richter Wolfgang Ott widerstrebte es offenbar, einen Herrn in diesem Alter zu verurteilen. Stattdessen machte er zusammen mit der Staatsanwaltschaft der Anklagebank ein Angebot: Einstellung des Strafverfahrens bei Zahlung einer Geldbuße an einen gemeinnützigen Verein und Verhängung eines Fahrverbotes. Über diesen Vorschlag mochte der Verteidiger mit dem Angeklagten zunächst beraten. Die Sitzung wurde also unterbrochen. Doch auch nach längerer Zeit wollte der Angeklagte diesem Weg nicht zustimmen. Da aber eine andere Verhandlung anstand, vertagte Richter Ott kurzerhand diese. Bis zu einem Fortsetzungstermin in zwei Wochen hat der Rentner nun Zeit, sich zu entscheiden, wie der brandgefährliche Vorfall abschließend geregelt werden soll. Zunächst nahm er wieder seinen Rollator und machte sich damit auf den Weg aus dem Amtsgericht. hd


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