Dekonstruktion des „Eisernen Kanzlers“ Bismarck

Der Geschichtsleistungskurs (Q2) mit Lehrer Dr. André Griemert (links), Schulleiter Martin Göbler (3. von rechts) und Martin Hoppe (ganz rechts) bei der Einweihung der neuen Plakette des Bismarck-Turms in Hanau-Wilhelmsbad.

Hanau
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Haben Denkmäler und Ehrungen für historische Gestalten, die aus heutiger Sicht in einem nicht mehr ganz so strahlenden Licht leuchten, noch einen Platz auf unseren Plätzen und Stadtplänen?



Über diese Frage wird in letzter Zeit seit der #BlackLivesMatter-Bewegung wieder verstärkt diskutiert: So passiert es auch im Leistungskurs Geschichte der 12. Jahrgangsstufe der Hohen Landesschule (HOLA). Die Jugendlichen setzten sich im Unterricht kritisch mit der Persönlichkeit Bismarcks auseinander. Schnell entstand die Idee, die aus den 1970er Jahren stammende Info-Tafel am Bismarck-Turm in Hanau Wilhelmsbad durch eine neue, aktualisierte Tafel zu ersetzen.

Denkmäler sollen zum Nachdenken anregen, sollen Geschichte in Erinnerung rufen und auch mahnen, kommentierte Martin Hoppe, Fachbereichsleiter Kultur, Stadtidentität und Internationale Beziehungen, bei der offiziellen Einweihung der Tafel am 7. Juli 2022 die Arbeit der Schülerinnen und Schüler. Denkmäler müssten daher aus ihrer Entstehungszeit heraus verstanden werden. Allerdings sei es wichtig, so Hoppe weiter, die Denkmäler zu kommentieren. Daher sei er sofort für das Anliegen der Schülerinnen und Schüler offen gewesen. Diese entwarfen daraufhin mit Unterstützung ihres Leistungskurslehrers Dr. André Griemert eine Informationstafel für den Hanauer Bismarck-Turm.

Auf der neu aufgestellten Tafel werden kurz die historischen Hintergründe, die zur Aufstellung des Bismarckturmes führten, sowie die historische Persönlichkeit Bismarcks dargestellt. „Es geht nicht um das Heroisieren einer Person, sondern darum, die eigene Geschichte zu kennen und sie kritisch auch im Rahmen aktueller Debatten hinterfragen zu können“, erklärte Dr. André Griemert das Anliegen ihrer Arbeit. Schulleiter Martin Göbler fügte hinzu: „Nur wer nach hinten sieht und das Vergangene betrachtet, kann für zukünftige Fragen und Probleme Entscheidungen treffen. Die Schülerinnen und Schüler haben mit ihrer Arbeit beweisen, dass sie bereits jetzt schon über ein reflektiertes Geschichtsbewusstsein verfügen.“ Fachbereichsleiter II Stefan Prochnow verwies mit den Worten des Philosophen George Santayana darauf, dass derjenige, der die Geschichte nicht kenne, dazu verdammt sei, sie zu wiederholen.

Auf der Tafel wird daher an die widersprüchlichen Aspekte der Bismarck‘schen Politik erinnert. Auf der einen Seite standen das allgemeine Wahlrecht oder die Sozialgesetzgebung, auf der anderen Seiten der Krieg gegen Frankreich, der Kulturkampf oder die Sozialistengesetze. Jedoch erfolgte die Reichsgründung nicht, wie es die Hambacher 1832 oder die Paulskirchen-Abgeordneten 1848 wollten, auf friedlichen Weg, sondern war die Folge des Krieges von 1870/71 gegen Frankreich. Mit dem Bismarck-Turm wurde in Hanau - wie überall im Reich - in patriotisch-nationalistischer Weise eben an diesen Aspekt des Reichsgründers gedacht, gleichzeitig die kritischen Politikbereiche Bismarcks weitgehend ausgeblendet oder sogar befürwortet.

In den 1890er Jahren wurden im nationalen Begeisterungstaumel und nach der Entlassung Bismarcks im gesamten Deutschen Reich Bismarckdenkmäler aufgestellt. Insgesamt gibt es heute noch 174 von ursprünglich 240 Bismarcktürmen und -säulen weltweit. Der Hanauer Bismarck-Turm ist in Hessen der dritte und letztgebaute Turm. Sein Bau wurde im Jahr 1900 vom Nationalliberalen Verein in Hessen angeregt. Die Stadt Hanau sowie der Landkreis Hanau beschlossen gemeinsam die Errichtung dieser Bismarcksäule. Den Vorsitz des Hanauer „Ausschuss zur Errichtung einer Bismarcksäule“ hatte dabei der Fabrikbesitzer Dr. Wilhelm Heraeus. Im Rahmen von Spendensammlungen kamen die Baukosten von 28.000 Mark dann schnell zusammen. Als Turmstandort wählte der Ausschuss den Kurort Wilhelmsbad bei Hanau. Am 4. September 1904 legte man den Grundstein für die Säule. Am 3. September 1905 wurde die Säule unter großer Beteiligung der Bevölkerung schließlich feierlich eingeweiht.

Architekt des Hanauer Bismarck-Turms war Wilhelm Kreis (1873-1955). Nach seinem Entwurf „Götterdämmerung“ wurden rund 50 Feuersäulen im Kaiserreich gebaut. Das NS-Regime missbrauchte die Bauwerke später für ihre Ideologie, Sonnenwendfeuer und Hitler-Geburtstage. Kreis stellte sich ebenfalls später in den Dienst der Nationalsozialisten, arbeitete im Stab von Albert Speer und wurde von Hitler in die „Gottbegnadetenliste“ aufgenommen. Die neue Informationstafel am Bismarck-Turm in Wilhelmsbad soll nun dazu dienen, den Erinnerungsort Bismarck-Turm für die Bevölkerung greifbarer zu machen, indem historische Strukturen und Gegebenheiten am Beispiel der historischen Person Bismarck reflektiert werden können. Dies geschieht ganz im Sinne von: "Denk mal nach!"

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Der Geschichtsleistungskurs (Q2) mit Lehrer Dr. André Griemert (links), Schulleiter Martin Göbler (3. von rechts) und Martin Hoppe (ganz rechts) bei der Einweihung der neuen Plakette des Bismarck-Turms in Hanau-Wilhelmsbad.

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Die neue Tafel für den Hanauer Bismarck-Turm, erarbeitet vom Geschichtsleistungskurs (Q2) der Hohen Landesschule.


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