Wer nichts verändern will, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte

Leserbriefe
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Die geplante Brücke in Nidderau kommentiert VORSPRUNG-Leser Otto Löber in seinem Leserbrief.



"Es sind ja kühne Pläne, die uns unterbreitet werden, was die grüne Lunge von Nidderau angeht. Alles was in der Nidderaue zwischen Heldenbergen und Windecken liegt, soll verändert werden. Das schafft Unsicherheit. Was ist richtig und was ist falsch? Niemand kann es mit Sicherheit sagen, was aber nicht hindert, auf die andere Position umso heftiger einzuschlagen. Die politische Kommunikationsstruktur ist wie immer das erste Opfer der Auseinandersetzung. Was wir außerdem erleben, Neues, vielleicht sogar schönes Neues, setzt sich nicht automatisch durch, denn das Verharren im vertrauten Falschen ist allemal bequemer. Das erleben wir beim Klima besonders drastisch. Nichts passiert und alle denken, es wird schon irgendwie gehen. Wir feiern, nach dem Heißsommer, Sylvester bei +16 Grad um Mitternacht und denken eigentlich kann alles so weitergehen.

Nun gibt es eine europäische Wasserrahmenrichtlinie, die bei uns umgesetzt werden soll. Die Fließgeschwindigkeit der Nidder soll verlangsamt werden und dem Fluss mehr Raum gegeben werden. Nicht wegen Europa, sondern wegen uns. Dies schützt uns vor Hochwasser und hilft, das Grundwasser wieder aufzufüllen, was wir bei den Heißsommern gut gebrauchen können. Wenn diese Maßnahme durchgeführt wird, sieht die Aue von schwerem Gerät zerfurcht, eine lange Zeit ziemlich furchtbar aus. Und viele werden rufen, 'sieht so Naturschutz aus?'.

Das zweite Thema für die Aue ist der Artenschutz. Wenn wir Flora und Fauna, Pflanzen und Tiere, in der Aue schützen wollen, müssen wir Menschen uns einschränken und der Aue einfach mehr Ruhe gönnen. Das Beste wäre ein Zaun drum herum und Ruhe wäre. Nun wird viel auf die Hundebesitzer geschimpft, die ihre Tiere frei laufen lassen, so dass die Bodenbrüter das Weite suchen. Die Hundebesitzer sind aber nicht das Problem, sondern wie wir Menschen uns der Natur nähern. Wir dürfen für die Artenvielfalt manches einfach nicht mehr machen und die Hundehalter spüren es als Erste.

Nun gibt es eine verrückte wunderbare Idee, ziemlich in der Mitte der Aue eine Brücke über die Aue zu bauen. Sie wäre nicht für Autos, sondern nur für Fußgänger, Kinderwagen, Rollstuhlfahrer und Fahrräder. 'Ein unvorstellbarer Luxus' denken viele. 'Das brauchen wir nicht.' Wenn wir für Abermillionen und Milliarden neue Autobahnen bauen, stört das niemanden, denn das ist halt so. Aber für Fußgänger, das brauchen wir doch wirklich nicht. Wer den öffentlichen Nahverkehr gegen den Autoverkehr stark machen will, muss für diese Pläne aber Geld in die Hand nehmen. Der gute Wille wird nicht reichen, dass Menschen umsteigen und anders mobil werden. Für die neue Mobilität muss richtig investiert werden. Und dass es riesige Zuschüsse von Bund und Land für das Auenprojekt gibt, liegt nicht an den örtlichen Politikern, die den oberen Instanzen schöne Augen machen, sondern daran, dass auf Bundes- und Landesebene längst verstanden wurde, nur attraktive Angebote schaffen eine Verkehrswende.

Nun hätte diese Verbindungsbrücke zwischen dem Bahnhof Heldenbergen und der neuen Mitte auch noch Charme in zweierlei Hinsicht: Wer über die Brücke geht, ist von der Auenlandschaft nicht abgeschnitten, sondern begibt sich mitten in sie hinein, ohne sie zu stören oder zu gefährden. In der grünen Lunge erlebt er Natur im Vorbeigehen, die er oder sie sonst überhaupt nicht wahrnehmen würde. Und bei Hochwasser in der Aue völlig von Wasser umgeben zu sein, ist ein Erlebnis, das sonst nur die Dorfbewohner von Eichen kennen. Es gibt noch einen weiteren Charme: Aus meiner Erfahrung als Rollstuhlschieber weiß ich, wir können hinter dem ALLO an der Nidder immer nur hinfahren, umdrehen und zurückfahren. Durch die Brücke gibt es praktisch zwei kleine Runden zusätzlich zur jetzt schon bestehenden ganz großen Runde. Die habe ich mit dem Rollstuhl noch nie gewagt.

Mich überzeugt der Charme des Konzeptes, der Problemen, die auf den Nägeln brennen, mutig entgegentritt. Sie brennen nicht unseren Nägeln, sondern bei den Insekten und Bodenbrütern, die bei uns keine Chance zum Überleben haben. Sie verschwinden einfach, lautlos, ohne Geschrei. Unser Geschrei wird erst groß, wenn sie ausgestorben sind. Wir erleben gerade, dass sich neues Schönes nicht automatisch durchsetzt. Das zeigt, es lohnt sich, darüber zu streiten und dass es wichtig ist. Gustav Heinemann sagte einmal: Wer nichts verändern will, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte.“

Otto Löber
Nidderau

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