Flüchtlingsfrauen finden beim Töpfern neuen Halt

Freigericht
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Sorgsam formen fleißige Hände den feuchten Ton, liebevolle Einzelheiten werden mit großer Konzentration erarbeitet, nach und nach nimmt ein Einzelstück nach dem nächsten Form an.

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Einmal pro Woche treffen sich Flüchtlingsfrauen aus Freigericht zum gemeinsamen Töpferkurs in der evangelischen Johanneskirche. Auch wenn im Rahmen des Kurses dabei schon so manch kleines Schmuckstück entstanden ist, geht es bei diesem Angebot aber um viel mehr als das kreative Gestalten: Ziel des Projektes ist es, den Frauen auch wieder festen Halt in ihrer neuen Welt zu geben.

„Es geht nicht nur um das Töpfern, sondern auch darum, sich zu treffen, miteinander auszutauschen, neue Verbindungen aufzubauen und die Deutschkenntnisse zu verbessern“, erklärt Diplom-Sozialarbeiterin Maria Seipel vom Caritas-Verband für den Main-Kinzig-Kreis, die auch als Flüchtlingsberaterin und Koordinatorin der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit in der Gemeinde Freigericht tätig ist. Der Töpferkurs ist dabei ein ökumenisches Gemeinschaftsprojekt der katholischen Pfarrgemeinde St. Anna und der evangelischen Johannesgemeinde, die Finanzierung konnte mit Hilfe des Fachdienstes Gemeindecaritas sichergestellt werden. „Wir wollten damit ein Angebot schaffen, für Frauen, die durch Flucht und Vertreibung viel schlimmes erlebt haben und zum Teil traumatisiert sind, damit sie hier etwas zur Ruhe kommen können, sich psychisch stabilisieren und den Weg in die Integration finden“, erklärt Seipel den Grundgedanken hinter dem Projekt. Zwischen sechs und zehn Frauen aus Afghanistan, dem Iran und Somalia nehmen regelmäßig an dem Treffen teil und können hier ein Stück weit geerdet werden.

Was das besondere an der Arbeit mit Ton ist, erklärt Töpfermeisterin und Therapeutin Barbara Lutz-Cirino: „Das Material ist unheimlich gut geeignet, um den Menschen wieder Halt zu geben.“ Es zerrinnt nicht zwischen den Fingern, lässt sich individuell formen und sorgt durch die Möglichkeit der schöpferischen Gestaltung dafür, dass die Frauen ihr eigenes Handlungspotential wiederentdecken. Waren die Stücke der Damen zu Beginn des Kurses noch sehr ähnlich, so würden inzwischen alle eine eigene schöpferische Handschrift entwickeln, freut sich Lutz-Cirino. Besonders beliebt sind bei den Frauen dabei ganz praktische Alltagsgegenstände, die den Weg aus der Töpferwerkstatt in die heimische Wohnung finden. Neben Krügen und Schalen finden sich aber auch traditionelle Gefäße, wie Beispielsweise für die Herstellung von Joghurt, unter den gefertigten Werken.

Während aus dem erdigen Material neue Gefäße, Figuren oder Gebrauchsgegenstände entstehen, entwickeln sich auch die Teilnehmerinnen kontinuierlich weiter. Sie entwickeln neue Eigeninitiative, verabreden sich zu gemeinsamen Aktivitäten oder passen gegenseitig auf ihre Kinder auf. Auch den Schritt auf den Arbeitsmarkt haben einige von ihnen bereits gewagt. „Gerade für Frauen aus dem afghanischen Kulturkreisen ist dies ein ganz großer Schritt“, erklärt Seipel. In der Gruppe können sie sich gegenseitig stützen und Mut machen. Denn im Austausch merken sie auch, dass sie mit ihren Sorgen und Problemen nicht alleine sind. Es geht also um viel mehr, als die bloße Arbeit mit dem Material Ton, wie Seipel zusammenfasst: „Eigentlich geht es um das Ankommen im ganz normalen Leben hier vor Ort.“

Noch bis Ende März wird die Diplom-Sozialarbeiterin, die auch als systemische Familientherapeutin ausgebildet ist, den Kurs begleiten. Dann geht es für sie in den wohlverdienten Ruhestand. Unter den verschiedenen Projekten und Aufgaben, die sie als Flüchtlingskoordinatorin zu bewältigen hatte, nimmt der Töpferkurs einen ganz besonderen Platz ein: „Für mich und Frau Lutz-Cirino, die Töpfermeisterin war es wirklich wunderbar, diese Entwicklung der Frauen zu begleiten und zusehen, welches Vertrauen sie wieder in sich und ihr Umfeld gewonnen haben“, blickt Seipel zurück. Auf welch fruchtbaren Boden das Angebot des Töpferkurses fallen würde, hätte sie selbst nicht für möglich gehalten. Nur zwei Wünsche hat sie für das Projekt noch: Das das Projekt auch zukünftig weiterläuft und dass die Arbeit der Frauen einmal mit einer kleinen Ausstellung gewürdigt wird. Hierfür müsste jedoch zunächst ein geeigneter Raum gefunden werden. Ein Vorhaben, das sich in den wenigen Wochen bis zu ihrem Ruhestand wohl nicht mehr umsetzen lassen wird. Aber Seipel ist überzeugt: „Es wäre eine große Anerkennung für die Frauen.“

Foto: Im Töpferkurs für geflüchtete Frauen stehen neben dem schöpferischen Gestalten auch der gegenseitige Austausch und die Verbesserung der Deutschkenntnisse im Fokus.

Foto: Im Rahmen des Töpferkurses sind bereits viele Zier- und Gebrauchsgegenstände entstanden.


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