Schicksalstag: 9. November in Gelnhausen

Gelnhausen
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Der 9. November markiert einen Schicksalstag in der deutschen Geschichte.



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Die Stadt Gelnhausen wird zwei historische Ereignisse, die auf dieses Datum fielen, entsprechend würdigen: Die Ausrufung der Republik vor 100 Jahren und die Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung vor 80 Jahren.

Am 9. November 1918 wurde das Deutsche Reich von einer Monarchie zur parlamentarisch-demokratischen Republik mit einer liberalen Verfassung. Bürgermeister Daniel Christian Glöckner hat einen kleinen Festakt zum Andenken an diesen historischen Moment initiiert und wird zum Thema Demokratie und dem Wandel des Kaiserreiches zur demokratischen Gesellschaft um 11 Uhr eine Rede vor dem Rathaus am Obermarkt halten. Anschließend wird er eine kleine Gedenktafel enthüllen, die an die Ausrufung der Republik erinnern soll.

Nur 20 Jahre später, am 9. November 1938, wurden mit der Reichspogromnacht Antisemitismus, Rassismus und Mord staatsoffiziell und es begann der größte Völkermord in der Geschichte Europas. Zwei Führungen werden am 9. November 2018 jüdisches Leben auf unterschiedliche Weise beleuchten. Um 17 Uhr startet vor dem Rathaus die Familienthemenführung „Matzbrot, gefillte Fisch“. Was ist eine Kippa? Warum haben die Juden nicht auch am Sonntag ihren Ruhetag wie die Christen? Werden jüdische Kinder auch getauft, gehen sie zur Kommunion oder Konfirmation? Stehen wirklich Heuschrecken auf dem jüdischen Speiseplan? Das und mehr erfahren Familien bei dieser Führung durch die ehemalige Synagoge und sie dürfen eine Thorarolle und jüdische Kinderspiele mal genauer unter die Lupe nehmen. Geeignet ist die Führung für Kinder ab dem dritten Schuljahr. Sie kostet fünf Euro pro Person für Erwachsene und 2,50 Euro pro Kind. Karten können in der Tourist-Info im Vorverkauf oder vor der Führung direkt bei der Gästeführerin erworben werden.

Christine Raedler, Fachbereichsleiterin des Zentrums für Regionalgeschichte beim Main-Kinzig-Kreis, wird als aktives Mitglied der Interessengemeinschaft Stolpersteine bei ihrer „Stolpersteinführung“ um 19 Uhr auf Schicksale von Gelnhäuser Juden verweisen. Anhand ausgewählter Stolpersteine in der Altstadt wird sie thematisieren, was nationalsozialistische Verfolgung konkret für einige Gelnhäuser Juden bedeutete und welche Brüche die Lebenslinien dieser Menschen dadurch erfuhren.

Bereits am 7. November 1938 fand in Paris das Attentat auf den Gesandtschaftsrat Ernst vom Rath statt; als Attentäter galt Herschel Grynszpan – ein Jude. Am nächsten Tag waren die Medien voller „einmütiger“ Urteile, so auch das NSDAP-Propagandablatt Kinzig-Wacht. Als vom Rath am 9. November seinen Verletzungen erlag, rief Reichspropagandaminister Josef Goebbels um 22 Uhr zu Pogromen gegen Juden in ganz Deutschland auf. Reichsweit wurden in den folgenden Stunden Geschäfte, Häuser und Wohnungen geplündert, zerstört, Synagogen in Brand gesetzt, Schulen und andere Einrichtungen demoliert, Friedhöfe geschändet. Tausende jüdische Menschen wurden misshandelt, Tausende jüdische Männer in Konzentrationslager verschleppt wie in das KZ Buchenwald.

In Gelnhausen blieb es an diesem Tag ruhig  - der letzte Jude hatte sich am 1. November 1938 abgemeldet. Gelnhäuser Juden waren schon viel früher „Radauantisemitismus“ und gezieltem Terror ausgesetzt, der sich in der „Gelnhäuser Kristallnacht“ vom 3. auf den 4. Juni 1938 in einem Pogrom entlud. Nach dem Terror in ihrer Heimatstadt erlitten die Gelnhäuser Juden an den Orten, an denen sie zugezogen waren,  aber am 9. November erneut den Terror - allein in Frankfurt wurden in dieser Nacht Alfred Buxbaum, Ludwig Heilmann, Arnold Hess, Ernst Meyer und Siegfried Strauß aufgegriffen und in das KZ Buchenwald verschleppt.

Entlang der Stolpersteine wird Christine Raedler diese individuellen Geschichten stellvertretend erzählen - zur Erinnerung an 120 jüdische Gelnhäuser, die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung wurden. Treffpunkt ist vor dem Rathaus, eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Die Führung ist kostenlos.


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