„Ich war´s nicht – wozu Verantwortung?“: Sommersalon rund um die Weiße Villa

Gelnhausen
Typographie
  • Smaller Small Medium Big Bigger
  • Default Helvetica Segoe Georgia Times

Die Welt wird immer unübersichtlicher, schneller, abstrakter. Und alle werden eilig mitgerissen. Aber was eigentlich können und wollen wir mitgestalten?

Anzeige


sommersalonprogramm.jpg

Und wo liegt unsere Verantwortung, vor der wir uns nicht drücken sollten? „Ich war´s nicht – wozu Verantwortung?“ ist das Motto des sechsten Sommersalons. Vom 21. bis zum 30. Juni, kurz vor Beginn der Sommerferien, öffnet die Weiße Villa in  Gelnhausen wieder für zehn Tage ihre Türen, um in anregender Salon-Atmosphäre Raum für Gedankenspiele und Diskussionen zu geben. Von der Frage, ob man Ethik programmieren kann über das Thema Greenwashing und die schwierige Erziehung zur Verantwortung bis zum launigen Satireabend und einer mehrgängigen Hof-Küche reicht das Programm. Zwei Konzerte im Großen Salon, bei denen hochkarätige Künstler aus allernächster Nähe zu erleben sind, runden die Reihe ab.

Dabei wird das Konzept der vergangenen fünf Jahre mit viel Anspruch fortgeführt: ein relevantes Thema von möglichst erhellenden Seiten zu betrachten und hierfür einen so familiären wie weltoffenen Rahmen zu schaffen. „Auch wenn das Motto augenzwinkernd das Wegducken angesichts der großen gesellschaftlichen Fragen anspricht, wollen wir nicht dauernd den Zeigefinger heben“, so die Organisatoren Kristina Michaelis, Ralph Ziegler und Jens Zerbach. „Auf kreative und kritische Weise möchten wir Themen erschließen, für die im Alltag kaum Zeit bleibt, die uns aber alle betreffen, und auf die wir mehr Einfluss nehmen können, als wir glauben.“ Lebhafte Diskussionen und die „Lust, aktiv mitzumischen“ möchten die Veranstalter fördern.

Konzerte und Bar-Abend

Auch in diesem Jahr wird der Bar-Abend rund um die Weiße Villa den Sommersalon eröffnen. Mit zwei DJFloors und drei Bars gibt es viel Raum zum Tanzen und Klönen vor der prächtigen Kulisse der illuminierten Villa. Gleich am nächsten Tag geht es hochklassig weiter: Mit Alin Coen kommt eine – nicht mehr ganz unbekannte – Indie-Größe in den Salon, der nicht nur Kritiker, sondern auch Musiker zu Füßen liegen. Die Hamburgerin, die beim Studium in Weimar vor über zehn Jahren zur Musik und ihrer Band fand, hat bereits Regina Spektor oder Jakob Dylan supportet und füllt mittlerweile selbst große Hallen. Mit ihrer eindrücklichen Stimme und ihren tiefgründigen Texten wird sie im Großen Salon am Klavier eines ihrer seltenen Solo-Konzerte geben.

In die Zeit der Französischen Revolution führt das klassische Konzert mit dem Ferdinand-Quartett – jene Zeit, in der sich die bürgerlichen Salons vom Leben am Hofe absetzten und die so genannten „Flötenquartette“ ihre Blüte erlebten. Soloflötist Paul Dahme, Bratschist Ludwig Hampe und Cellist Philipp Bosbach – alle Mitglieder des renommierten Frankfurter Opern- und Museumsorchesters –, sowie Barbara Hefele, 1. Geigerin am Nationaltheaterorchester Mannheim, präsentieren auf Originalinstrumenten klassische Kammermusikliteratur für Flöte und Streichtrio, darunter Werke von Mozart und Haydn, die eigens für den intimen Salon geschaffen wurden.

Vorträge, Film und Satireabend

„Kann man Ethik programmieren?“ ist der Titel des ersten Vortrags, bei dem Anja Bodenschatz von der TU München umreißt, was passieren könnte, wenn die Künstliche Intelligenz immer mehr Entscheidungen für uns trifft. Welchen Nutzen haben autonom entscheidende Systeme – und wie können sie in unsere Gesellschaft integriert werden? Wie es gelingen könnte, nicht nur Wissen, sondern auch Visionen von einem verantwortungsvollen Zusammenleben zu vermitteln, nimmt der Vortrag von Margret Rasfeld ins Visier. Die renommierte Berliner Pädagogin, Expertin im Zukunftsdialog der Bundeskanzlerin „Wie wir lernen wollen“ und mit Gerald Hüther Gründerin der Initiative „Schule im Aufbruch“, stellt Visionen für eine Schule des 21. Jahrhunderts vor. Dabei geht es weniger um Frontalunterricht, als um eine wertschätzende Beziehungskultur, Teamkompetenz, Handlungsfähigkeit – und den Umgang mit einer „Kultur des Scheiterns“.

Dass die Verantwortung für ökologisch und sozial akzeptable Produkte stillschweigend an den Verbraucher delegiert wird, statt sie zur Politiksache zu machen, prangert Werner Boote in seinem aktuellen Film „Die grüne Lüge“ an, der in Kooperation mit der FilmKunst am Dienstag/Kino Gelnhausen im Kino Pali gezeigt wird. Nach seiner aufrüttelnden Dokumentation „Plastic Planet“ nimmt der Filmemacher diesmal nachhaltig produzierte Lebensmittel, umweltschonende Elektroautos und grüne Kosmetik ins Visier. Produkte, die suggerieren, allein mit der richtigen Kaufentscheidung könne man die Welt ein kleines bisschen besser machen. Doch nicht alles ist so „grün“, wie es scheint. Wie man Missstände aufdecken kann, ohne sich dabei den Mund zu verbrennen, darf das Publikum mit keinen Geringeren als Dennis Kaupp & Jesko Friedrich von NDR extra3 diskutieren. Mit ihrem Lied „Erdowie, Erdowo, Erdogan“ verärgerten sie den türkischen Präsidenten Erdogan derart, dass zweimal der deutsche Botschafter einbestellt wurde, und das lange vor Böhmermann. Unbekümmert wandern die beiden, die für ihre Sketche mit dem Grimme-Preis und dem Deutschen Comedypreis ausgezeichnet wurden, auf dem schmalen Grat zwischen Provokation und Aufklärung. „Erdowie geht Satire? Erdowas darf Satire? Erdowann gibt es den nächsten Skandal?“ heißt es beim ersten Satire-Abend im Sommersalon – es darf gestritten werden!

Neue Spielstätte für die „Hof-Küche“

„Der Salon profitiert natürlich in jedem Jahr aufs Neue von der tollen Aura der Weißen Villa“, glaubt Michaelis, „sie ist es, die aus einer interessanten Veranstaltung ein besonderes Erlebnis macht.“ Dem Hausherrn Volker Hohmann gebühre Dank und großer Respekt dafür, dass er Jahr für Jahr seine Privaträume in der Beletage zur Verfügung stelle. Aber auch neue Spielstätten mit neuen Konzepten werden ausprobiert. Nachdem im letzten Jahr ein Weinberg die Kulisse für ein Konzert war, werden in diesem Jahr Götz Stöckmann und Iris Löhlein ihren Hof in der Kuhgasse für die „Hof-Küche“ öffnen. Jürgen Bock vom „Somachemers“ kredenzt direkt neben dem „living room“ (Schubladenhaus) ein feines Menü aus saisonalen, regionalen Zutaten. Und wer ihn kennt, der weiß, dass sich das bei ihm mit Ausflügen in die Weltküche bestens verträgt. „Dabei kann man dem Koch über die Schulter schauen, an der langen Tafel miteinander ins Gespräch kommen und so aufgeschlossene wie großherzige Gastgeber kennenlernen“, verspricht Jens Zerbach, der seit diesem Jahr im Veranstalterteam mitwirkt.

Dass der Sommersalon nun schon zum sechsten Mal stattfinden kann, verdankt die Initiative unter dem Dach der Kulturstiftung Gelnhausen der Unterstützung zahlreicher Gelnhäuser Firmen und Privatleute. „Am meisten freuen wir uns, wenn uns die Gäste nach den Veranstaltungen fragen, ob sie uns im nächsten Jahr unterstützen dürfen, das ist eine tolle Bestätigung, dass es weitergehen soll“, findet Ziegler. Der vergleichsweise kleine Rahmen mache die Finanzierung zwar nicht einfach, umgekehrt gebe er aber eine große Freiheit, zu experimentieren und auch mal Sperriges zuzulassen, an das man sich erst herantasten müsse.

Dass Kultur sich einmischen und gewohnte Grenzen überschreiten müsse, werde gerade beim Thema Verantwortung deutlich. „Dieses lähmende Ichwürdejaweißabernichtwie versuchen wir in diesem Jahr auf anregende Weise zu durchbrechen“, so Michaelis, „schließlich ist Verantwortung übernehmen das Gegenteil von Ohnmacht, und jedem, der etwas mutig in Angriff nimmt, gebührt Anerkennung – selbst wenn man scheitern sollte.“ Dass das Publikum diese Offenheit zu schätzen weiß, haben die Veranstalter in den letzten fünf Jahren mehr als einmal erfahren. Bei den Menschen in der Region ist der Sommersalon längst als feste kulturelle Größe verankert, bevor es in die langen Sommerferien geht.

Eintrittskarten sind ab dem 29. April an der Infothek im Rathaus Gelnhausen erhältlich oder können ab sofort unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! reserviert werden. Aktuelle Informationen gibt es unter www.weisse-villa-gelnhausen.de und www.facebook.com/weissevilla.

Programm-Übersicht

Freitag, 21. Juni: Eröffnungsabend: VERANTWORT-BAR rund um die Weiße Villa
ab 21 Uhr / Eintritt 7 € / Eingang Herzbachweg 2
Samstag, 22. Juni: Live-Konzert mit Alin Coen
20 Uhr / Eintritt 25 € / Großer Salon Weiße Villa
Sonntag, 23. Juni: Hof-Küche mit Jürgen Bock
17 Uhr / 80 € (inkl. Getränke) / Hof living room, Kuhgasse 9-15, Gelnhausen
Montag, 24. Juni: Vortrag Anja Bodenschatz, TU München: Kann man Ethik programmieren?
20 Uhr / Eintritt 10 € / Großer Salon Weiße Villa
Dienstag, 25. Juni: Filmvorführung „Die grüne Lüge“ (Werner Boote, 2018)
20.15 Uhr / Eintritt 7 € / Kino Pali, Herzbachweg 1
Mittwoch, 26. Juni: Vortrag Margret Rasfeld, Berlin: Verantwortung als Erziehungsauftrag?
20 Uhr / Eintritt 10 € / Großer Salon Weiße Villa
Donnerstag, 27. Juni: Satireabend mit den extra3-Stars Dennis Kaupp & Jesko Friedrich
20 Uhr / Eintritt 15 € / Großer Salon Weiße Villa
Sonntag, 30. Juni: Mit dem Ferdinand-Quartett in die Zeit der Französischen Revolution / Abschlusskonzert
18 Uhr / Eintritt 20 € / Großer Salon Weiße Villa
Ich war´s nicht – wozu Verantwortung? Sommersalon 2019 (21. bis 30. Juni)

Foto: Hinten von links Tobias Gros (Brentano-Buchhandlung), Kristina Michaelis, Stephan Schneevogl (Kino Gelnhausen), Jens Zerbach sowie vorne von links Götz Stöckmann, Volker Hohmann. Es fehlt Ralph Ziegler.


Ihnen ist etwas Interessantes aufgefallen im Main-Kinzig-Kreis? Schreiben Sie uns an info@vorsprung-online.de