Grimmelshausen-Preis für Dörte Hansen und Nele Pollatschek

Gelnhausen
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Die Jury hat eine Entscheidung getroffen: Der Johann-Jacob-Christoph-von-Grimmelshausen-Preis geht an Dörte Hansen für ihren Roman „Mittagsstunde“, den Förderpreis erhält die Autorin Nele Pollatschek.

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In diesem Jahr wird der Preis wieder in Grimmelshausens Geburtsstadt Gelnhausen vergeben.

In „Mittagsstunde“ erzählt Dörte Hansen literarisch eindrucksvoll, mit viel Empathie, aber nie sentimental, von den großen Veränderungen des ländlichen Lebens in den letzten Jahrzehnten. Ihr fiktiver Ort Brinkebüll in Nordfriesland steht mit seinen individuell gezeichneten Bewohnern für viele einst bäuerlich geprägte Gemeinden, denen der Strukturwandel das Gesicht nahm, ohne neue Identitäten zu schaffen. Dörte Hansen beschreibt das mit lakonischen Worten, aber stilistischer Raffinesse und ohne jede Form von nostalgischer Verklärung. Ihr Protagonist Ingwer Feddersen, der bei seinen Großeltern aufwuchs, hatte das Dorf verlassen, um zu studieren und Karriere als Wissenschaftler zu machen. Fast fünfzigjährig kehrt der Archäologe in sein Heimatdorf zurück, auch um das langsame körperliche und geistige Erlöschen seiner Großeltern zu begleiten. Sensibel und unspektakulär schildert Hansen das langsame Sterben und Fortschreiten der Demenz. In individuellen Lebensgeschichten entwirft sie ein Panorama der untergehenden oder schon untergegangenen Lebensformen. Mit wenigen Strichen gelingt es ihr, ausdrucksstarke Charaktere zu schaffen. „Die Zeit der Bauern ging zu Ende“, heißt es wie ein Resümee. „Man blies das Feuer aus, man brach die Zelte ab und ließ die letzten Sesshaften zurück.“

„Dörte Hansen verleiht mit ihrem Roman einem großen Gegenwartsthema historische Tiefe“, urteilt die siebenköpfige Jury. Die 1988 in Ost-Berlin geborene und heute in Neckarsteinach lebende Schriftstellerin Nele Pollatschek erhält für ihren Debütroman „Das Unglück anderer Leute“ den Grimmelshausen-Förderpreis 2019. In ihrem apokalyptischen Familienroman vermeidet Nele Pollatschek jeden Anflug von zwischenmenschlicher Harmonie. Der Roman steckt voller skurriler Figuren, allen voran die vielfach ausgeflippte Mutter. Ihr abruptes Lebensende registriert die Protagonistin, eine 25-jährige Studentin, mit spürbarer Erleichterung. Aber bei aller zerstörerischen Wucht bleibt immer die ironische Distanz gewahrt. „Das Debüt der vielseitigen Autorin weckt große Hoffnungen“, meint die Jury.

Gestiftet wird der Grimmelshausen-Preis gemeinsam von der Stadt Gelnhausen und der Stadt Renchen, in der der berühmte deutsche Schriftsteller 1676 verstarb,  sowie den Ländern Hessen und Baden-Württemberg. Die Jury setzte sich zusammen aus drei Persönlichkeiten des literarischen Lebens: Dr. Beate Laudenberg, Pädagogische Hochschule Karlsruhe, Hans Sarkowicz, Hessischer Rundfunk, und Dr. Florian Balke, FAZ. Dazu gehören die jeweils zuständigen Literaturreferenten der beiden Länder: Für Hessen ist das Elisabeth Volck-Duffy, für Baden-Württemberg Christiane Pesthy. Vervollständigt wurde die Jury durch die Bürgermeister der beiden Grimmelshausen-Städte Gelnhausen und Renchen, Daniel Christian Glöckner und Bernd Siefermann, wobei die Literaturreferentinnen der Länder und die Bürgermeister in der Jury als beratende Mitglieder fungierten. Sie haben in den vergangenen Wochen zehn Bücher zeitgenössischer Autorinnen und Autoren, die im Vorfeld ausgewählt wurden, kritisch gelesen. Ihr Augenmerk richtete sich dabei gemäß den Statuten des Grimmelshausen-Preises vor allem auf die künstlerische Auseinandersetzung der Werke mit der Zeitgeschichte. Nun hat haben die Experten ihre Entscheidung getroffen: Dörte Hansen und Nele Pollatschek werden in Gelnhausen ausgezeichnet. Die Preisverleihung findet im Herbst 2019 statt, der genaue Termin steht noch nicht fest.

Der Hauptpreis ist mit 10.000 Euro dotiert. Der Förderpreis wird von den beiden Kommunen in Zusammenarbeit mit den örtlichen Sparkassen - im Fall von Gelnhausen mit der Kulturstiftung der Kreissparkasse Gelnhausen - ausgelobt und ist mit 2.500 Euro dotiert. Der Preis wird alle zwei Jahre abwechselnd in Gelnhausen und in Renchen vergeben.

Foto: Das Foto entstand in der Grimmelshausen-Welt des Museums der Stadt Gelnhausen. Grimmelshausen blickt wohlwollend auf die ausgezeichneten Werke.


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