Alles in Butter: Erinnerungen an ferne Zeiten

Gelnhausen
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Helga Lang ist Bewohnerin im Kreisruheheim Gelnhausen und blickt auf ein langes und ereignisreiches Leben zurück.

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Der sozialen Betreuungskraft Regina Pucher hat sie eine ganz besondere Sommergeschichte aus ihrer Kindheit erzählt. Ein Blick zurück, in eine Zeit, in der die damals 12 jährige Helga Lang, ihre Kreativität und Kunstfertigkeit nutzen musste, um etwas zu bekommen, das heute so selbstverständlich scheint:

„Nachdem wir in Offenbach durch einen Bombenangriff alles verloren hatten, kamen wir im Mai 1944 nach Erbach im Odenwald. Damit begann für meine Eltern und mich eine schlimme Zeit des Hungers und der Not. Da wir auch nichts mehr zum Eintauschen hatten, blieben uns tatsächlich nur die knappen Rationen der Zuteilung. Schon als Kind habe ich sehr gerne und gut gezeichnet und gemalt und aus diesem Grund schenkte mir der Chef meines Vaters eines Tages einen Aquarell-Malkasten, den er bei einer Geschäftsreise nach Straßburg hatte besorgen können. Meine Freude war riesig aber nun fehlten Papier oder Zeichenblock, denn auch den gab es damals nicht. Doch dann erlaubte mir eine Nachbarin, dass ich mir aus alten Jahrbüchern ihres Vaters unbeschriebene Seiten heraustrennen dürfte. Es war dies wohl die Kartei eines Sanitäters wie ich sehen konnte. Die ersten und letzten inneren Blätter der Folianten hatten es mir besonders angetan, denn sie bestanden aus einer Art geprägtem Butterpapier waren recht stabil und auch schon recht vergilbt. Daraus schnitt ich Lesezeichen zurecht, dich mit einer kleinen Nagelschere am Rand ringsum einkerbte, was der Sachen einen etwas antiken „Touch“ verliehen hat. Diese Buchzeichen wurden sodann von mir hübsch mit Blumen und Blätterranken bemalt. Trotz meines damaligen Alters von 12 Jahren, gelang es mir, meine Produkte an eine kleine Buch- und Schreibwarenhandlung zu verkaufen. Pro Stück erhielt ich jeweils 1 bis 1,20 Reichsmark. Von dem auf diese Weise verdienten Geld kaufte ich mir danach bei einem Bauern 250 g Butter für den stolzen Preis von 60 Reichsmark (Schwarzmarktpreis!). Ich durfte die Butter auch ganz alleine essen und es war das Köstlichste, was ich mir hatte erträumen können. Heute wundere ich mich weniger über meine damalige Geschäftstüchtigkeit, als vielmehr über die Tastsache, dass der Bauer, der im 2. Weltkrieg alles behalten durfte und über Haus, Hof und Felder verfügte, einem Kind für ein Stück Butter so viel abverlangen konnte. Das ist nach zweimaliger Währungsumstellung noch immer ein Netto-Preis von 3 €. Über diesen Butterpreis würden sich die heutigen EU-Bauern wohl mächtig freuen.“

Foto: Helga Lang war schon mit 12 Jahren äußerst kreativ und geschäftstüchtig.


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