"Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß"

Großkrotzenburg
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Nachfolgend die Rede des Alterspräsidenten Aloys Lenz (Initiative Zukunftssicheres Großkrotzenburg) zur konstituierenden Sitzung der Gemeindevertretung Großkrotzenburg am 30.04.2021 im Wortlaut.



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„Ein Lob dem Alter – Goethe und Max Weber zur Politik –Schlussfolgerungen aus dem Wahlergebnis“

"Verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, als Älterer hat man auch eine gewisse Vorbildfunktion, deshalb habe ich mich vor 3 Stunden im Schnelltestzentrum Großkrotzenburg testen lassen: Ergebnis negativ. Ich hoffe, ich bin nicht der einzige unter Ihnen. Auch ich möchte Sie alle – zunächst die anwesenden Bürgerinnen und Bürger sowie die frisch gewählten Gemeindevertreter, aber auch die Pressevertreter -  ganz herzlich begrüßen. Es ist eine gute demokratische Tradition, dass der Älteste unter Ihnen mehr sagt als nur „Guten Abend, kommen wir jetzt zur Wahl des Vorsitzenden“. Deshalb, bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, gestatten Sie mir einige Anmerkungen.

Wenn einige von Ihnen jetzt insgeheim denken oder gar dem Nachbar schon zugeflüstert haben, „warum geht dieser alte Bock überhaupt nochmal in die Kommunalpolitik“, so bedenken Sie bitte Folgendes, nur als Beispiel: Der höchste politische Repräsentant der Vereinigten Staaten von Amerika und der zweithöchste der Bundesrepublik Deutschland, beide Herren, die europa- und weltpolitische Verantwortung tragen, sind jeweils ein Jahr älter als ich.

Und um die Bedeutung älterer Menschen in der Politik noch zu vertiefen, gestatten Sie mir, aus einer knapp zwei Jahre alten Pressemeldung zu zitieren: „Im rheinland-pfälzischen Kirchheimbolanden ist Lisel Heise in den Stadtrat gewählt worden. Die ehemalige Lehrerin wird künftig die neue Fraktion einer Wählergruppe als Vorsitzende anführen. Sie ist begeisterte Schwimmerin und war mit dem Ziel angetreten, dass die Stadt wieder ein Freibad bekommt.“ (Zitat Ende) Es mag da sicher mehrere Parallelen geben zwischen uns, aber doch einen sehr bedeutenden Unterschied. Ich zitiere jetzt die Überschrift des HA-Artikels vom 28.05.2019: „100-Jährige Lisel Heise  zieht in Stadtrat ein.“

Sie können sich also schon einmal mental darauf einstellen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dass ich diese und die nächsten drei Legislaturperioden, das wären so zwischen 15 und 20 Jahren – so Gott will und mir die Gesundheit dazu schenkt – mit Ihnen gemeinsam um die Zukunftssicherheit dieser Gemeinde ringen werde. Sehen Sie dies bitte nicht als Drohung an! Denn dieses gemeinsame sachliche Ringen um Mehrheiten, das ist Demokratie.

Umso weniger erstaunlich ist es auch, dass bei der gegenwärtigen Tendenz der traditionellen Parteien „je jünger die Kandidatinnen und Kandidaten, desto eher wird unsere Liste gewählt“, dass in Großkrotzenburg genau das Gegenteil eingetreten ist. Zwei ältere Herren -  mindestens einer davon im Alter eines Urgroßvaters - an der Spitze einer bunt zusammengewürfelten Truppe werden mit ihr aus dem Stand zur stärksten politischen Kraft gewählt und sie rocken das gesamte Parteiengefüge durcheinander. Das hatte niemand so erwartet. Aber auch das ist ein wunderschöner Aspekt von Demokratie, jedenfalls für viele.

Politik, meine Damen und Herren, wird oft vom Stammtisch oder von wo auch sonst immer als etwas Negatives, Abstoßendes eingestuft und beschrieben. Schon Goethe hat vor 250 Jahren in seinem bedeutendsten Werk dies ironischerweise den Saufkumpanen in Auerbachs Keller in den Mund gelegt: „Pfui, ein politisch Lied, ein garstig Lied“. Doch der große Goethe selbst war nebenbei noch Minister, da heißt sowohl Politiker als auch Verwaltungsbeamter und erkannte die Notwendigkeit von Politik als Gestaltung des Gemeinwesens. Und jeder von Ihnen hier opfert seine Freizeit und Teile seines Privatlebens, um das Zusammenleben in der Gemeinschaft einer Kommune zu ermöglichen und zu verbessern, um für andere, für seine Mitbürgerinnen und Mitbürgern ein angenehmeres Leben zu schaffen. Im Namen unserer Bürgerschaft möchte ich Ihnen dafür meinen herzlichen Dank aussprechen. Respekt vor diesem Engagement!

Einer der ersten deutschen Politologen, obwohl es damals diesen Wissenschaftszweig an deutschen Universitäten noch gar nicht gab, Max Weber, hat vor etwa genau 100 Jahren in einer hervorragend verständlichen Weise die Aufgabe von Politik, von politischem Handeln, beschrieben „Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich“ , eine klare Definition, ohne den heutigen Hang  zu gequälten Anglizismen - klar, deutlich und auf Deutsch, für jeden verständlich.

Und jetzt mein Blick in die Zukunft: Wir alle sollten gemeinsam als Schlussfolgerung aus dem Wahlergebnis folgende Erkenntnis ziehen und auch umsetzen:

  1. Wir müssen Sachfragen und anstehende Probleme unserer Gemeinde schneller entscheiden und lösen: Dem Vor-Sich-hin-Dümpeln muss der Kampf angesagt werden! Beschlussvorlagen müssen zeitlich früher entschieden und nicht von hier nach dort und wieder zurück - geschoben werden,
  2. Die Bevölkerung muss über anstehenden Projekte rechtzeitig und dauerhaft informiert und so umfassend wie möglich mitgenommen werden: Transparenz und Offenheit ist das Gebot der Stunde,
  3. Alle Beschlüsse der Gemeindevertretung müssen vom Bürgermeister zeitnah umgesetzt werden und sie selbst muss dies auch immer wieder kontrollieren - und zwar knallhart oder auch mit Rumms, egal wie sie es formulieren,
  4. Ideologische und parteipolitische Positionen sollten zugunsten eines gemeinsamen Ringens aller Fraktionen um pragmatische Lösungen zurückgestellt werden,
  5. Notwendig ist auch ein gegenseitiges Vertrauen und keine Unterstellung von Misstrauen gegeneinander, sonst scheitern die gemeinsamen Bemühungen um das Wohl der Gemeinde schon von Anfang an.

Einen kleinen Hinweis noch zum Abschluss: die traditionellen Parteien sollten einmal wirklich ernsthaft darüber nachdenken, dass von Wahl zu Wahl im kommunalen Bereich – und dies gilt für das gesamte Land - die Wählergemeinschaften und unabhängige Kandidaten deutlich zulegen. Vielleicht hat man doch irgendwo etwas falsch gemacht.

Ich wünsche Ihnen allen, dass Sie diese von Max Weber zuvor genannten Eigenschaften der Geduld und der Leidenschaft dabei nicht verlieren und Ihr selbstgestecktes Ziel als Mitglied dieser Gemeindevertretung in dieser Legislaturperiode persönlich auch erreichen."


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