Die Arbeit in einer Feldbrand Ziegelei

Großkrotzenburg
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Das älteste von Menschen künstlich hergestellte Baumaterial dürfte der aus Lehm gefertigte Ziegelstein sein.



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Von Gründungs- und Ehrenmitglied Willi Euler (Heimat- und Geschichtsverein)

Die Arbeitsweise zur Herstellung dieser Steine hatte sich über Jahrtausende hinweg über Babylonier, Ägypter und Römer kaum verändert. Die ersten Ziegelsteinhersteller in unsere Gemeinde waren sicherlich die Römer. Die Soldaten der 4. Vindeliker Kohorte, die hier im Römerkastell stationiert waren, mussten neben ihrem Wachdienst in der Ziegelei arbeiten. Sie stellten Ziegelsteine in vielfältigen Ausführungen her und ihre Erzeugnisse wurden von hier aus mainabwärts und mainaufwärts verschifft. Lehm und Lett, das Rohmaterial holten sie aus den sogenannten Lettlöchern. Diese lagen kurz vor dem Oberwald und zeigten sich bis etwa 1930 in einer etwas tiefer gelegenen sumpfigen Wiese. Nach dem Rückzug der Römer wurde die Produktion vermutlich eingestellt. Etwa gegen Mitte des 19. Jahrhunderts liegen die Unterlagen über den erneuten Anfang und die Inbetriebnahme der ersten Ziegeleien in der Neuzeit vor. In Richtung Kahl befand sich die erste rechts der Straße in der Vertiefung des Geländes hinter dem Kanalhebewerk. Der Volksmund nannte die Ziegeleien auch Russenfabrik oder in Kurzform "Russerik" und die hergestellten Steine einfach "Russen".

Die Bezeichnung Russenfabrik kommt wahrscheinlich von dem Wort Ruß oder Rußen, denn beim Brennen dieser Steine entstand nämlich viel dunkelroter bis schwarzer Ruß oder Rußasche. Wenn nach dem Erkalten der Öfen mit dem Verkauf der Steine begonnen wurde, dann flog die Rußasche und färbte Menschen und Tiere und im weiten Umkreis auch die  Erde und Vegetation ein. In jeder Ziegelei waren zwei Kolonnen beschäftigt, die im Akkord arbeiteten. Deshalb galt hier der Grundsatz "  Schaffts du was, dann verdienst du was " Zur ersten Kolonne gehörte der Lehmzubereiter, der Karrenfahrer, der Steinformer und zwei Steinabträger. Alle fünf zusammen wurden sie die "Russenmacher" genannt. Die Abträger waren meist Jugendliche, die aus der Schule entlassen, keine Lehrstelle fanden oder ganz einfach keinen Beruf erlernen konnten. Zur zweiten Kolonne gehörte der Ofensetzer, zwei Karrenfahrer, welche die Steine zum Ofen fuhren und ein Kohlenbeiträger. Sie bezeichnete man als die "Russenbrenner".

Im Jahre 1913 kostete das Tausend Russensteine zwischen 20 und 23 Reichsmark und im Jahre 1929 nach der großen Geldentwertung musste man 30 bis 32 Reichsmark dafür bezahlen. Um diese Zeit erhielt ein Russenmacher für 1000 gefertigte Steine 16,50 Reichsmark Macherlohn, wovon 5 Reichsmark für den Russenbrenner abgingen. Wenn eine Kolonne am Tag bei Spitzenleistung 8000 Steine fertigte, dann hatte sie einen Verdienst von 92 Reichsmark. Da die jugendlichen Abträger  aber nur die Hälfte des Lohnes der Älteren erhielten, hatten sie einen Tagesverdienst von 11,50 Reichsmark, während die Älteren 23 Reichsmark verdienten. Das war für die damalige Zeit unbedingter Spitzenlohn. Man muss aber die Länge der 14 bis 16 stündiger Arbeitszeit von morgens 6 Uhr bis abends 20 Uhr beachten. Ruhepausen während des langen Arbeitstages gab es nur zur Essenspause und wenn bei Schlechtwetter ohne Lohnfortzahlung pausiert werden musste, denn in diesem  Fall hatten die Arbeiter das Risiko alleine zu tragen. Fast ein dreiviertel Jahrhundert lang hat ein nicht geringer Teil der Einwohner unserer Gemeinde in den Ziegeleien seine Existenzmöglichkeit gefunden, von einer Arbeit, die in dieser Art und Weise bei uns wohl nie mehr ausgeführt werden wird.


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