Hammersbach/Kirgisien: Aus dramatischem Unfall wird Erfolgsgeschichte

Hammersbach
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Sie ist eine Frau, bei der im Gespräch immer wieder die Tränen kommen, wenn sie von ihrem tödlich verunglückten Mann Aibek spricht. Diese Augenblicke sind jedoch immer nur kurz. Dann schaut sie wieder in die Gegenwart, wo sie sich eine neue Existenz aufgebaut hat und sehr dankbar ist für die Hilfe, die sie aus Deutschland bekommen hat. Die Rede ist von Anara, der jungen Mutter von vier Kindern im Alter von 7 bis 14 Jahren, die am 12. Februar letzten Jahres ihren Mann auf tragische Weise verloren hat (wir berichteten).



Sie lebt in der etwa 6.000 Kilometer entfernten kirgisischen Hauptstadt Bischkek. Ihr Mann war, wie über eine Million Kirgisien, im Ausland unterwegs, um den Lebensunterhalt für die sechsköpfige Familie zu verdienen. Und er hatte Träume: Er wollte unbedingt in Amerika als LKW-Fahrer arbeiten. Zuhause in dem sehr einfachen Haus, das die Familie damals bewohnte, wollte er sich ein „amerikanisches Wohnzimmer“ einrichten. Die Kinder sollten eine gute Ausbildung erhalten und es im Leben einmal leichter und besser haben. So wie er und seine Geschwister es bereits besser hatten als ihre Eltern, die vor vielen Jahren aus der Provinz in die Region der kirgisischen Hauptstadt gezogen waren und damals in großer Not lebten.

Wie es in dem Land üblich ist, hält die Großfamilie zusammen und jeder hat seine Rolle. Weil sein älterer Bruder (einer von vier Brüdern) gesundheitliche Probleme hatte, musste Aibek schon vor einigen Jahren ins Ausland gehen, um für eine litauische Firma LKW zu fahren. Wie die Familie erzählt, wäre der Traum von Amerika auch vor einigen Jahren fast wahr geworden. Doch nach dem Amtsantritt von Donald Trump im Jahr 2017 wurde die bereits erteilte Arbeitserlaubnis zurückgezogen und ihm blieb nur die Möglichkeit, weiterhin in Europa als LKW-Fahrer zu arbeiten. Bis zu diesem tragischen 17. Januar letzten Jahres. Ein Mann fuhr in selbstmörderischer Absicht in die Tank- und Rastanlage Langenbergheim, und eine der Zapfsäulen erschlug den unschuldigen Mann aus Kirgisien. Die Hammerbacher Feuerwehr war vor Ort und fand den Leichnam unter den Trümmern. Dieses tragische Schicksal hat viele Menschen tief berührt. Und so hat Bürgermeister Michael Göllner (SPD) zu einer Spendenaktion aufgerufen, um den Hinterbliebenen zu helfen. Funk und Fernsehen berichteten über diese Idee, und es kam eine sehr hohe Spendensumme zusammen. Schnell war klar, dass man das Geld nicht einfach überweisen kann, sondern dass es mit der Verpflichtung einhergeht, vor Ort zu schauen, wie der Familie gezielt geholfen werden kann. Wie richtig dies war, wird auch dadurch deutlich, dass alle Versuche, von irgendjemandem Schadensersatz zu erhalten, ins Leere liefen.

Bereits im letzten Jahr nahmen Bürgermeister Göllner, Gemeindebrandinspektor Jens Eyrich und ein weiterer Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung, Tobias Lenz, die Strapazen auf sich, um nach Kirgisien zu fliegen und die Familie zu besuchen. Großartig war die Unterstützung durch die deutsche Botschaft vor Ort, die den Kontakt herstellte. So konnte sich die kleine Delegation aus Hammersbach ein eigenes Bild von der Not der Familie und den Lebensumständen in Kirgisien machen. Schnell wurde klar, dass die prekäre Wohnsituation verbessert werden muss. Etwas mehr als die Hälfte der Spendengelder wurden verwendet, damit sich die Familie eine Wohnung in der Hauptstadt kaufen konnte. Im September äußerte die Witwe den Wunsch, für den Lebensunterhalt ihrer Familie selbst zu sorgen. Sie wollte wieder als Näherin arbeiten. Dazu benötigte sie eine entsprechende Ausstattung. Nach einigen Telefonaten wurde im September letzten Jahres dafür ein weiterer bescheidener, aber angemessener Betrag überwiesen.

Im Mai dieses Jahres machten sich Michael Göllner und Jens Eyrich erneut auf den Weg nach Kirgisien, um die Familie zu besuchen und zu sehen, wie das Geld verwendet wurde. Denn Michael Göllner hatte bei der Spendenaktion das Versprechen abgegeben, dass jeder Euro direkt bei der Familie ankommen würde. Wieder zu Gast und unterstützt von der Botschaft konnten die beiden nun das bisherige Ergebnis sehen.

Die Familie fühlt sich sehr wohl in der neuen Wohnung. Diese verfügt über ein Wohnzimmer mit integrierter Küche und ein echtes Badezimmer. Die Ausstattung ist für uns normal, aber für Anaras Familie ein echter Quantensprung im Vergleich zum bisherigen Haus. Die Witwe schläft mit ihren Töchtern in einem Zimmer und der Sohn hat ein eigenes Zimmer für sich. Für deutsche Verhältnisse mag dies sehr beengt erscheinen, doch vor Ort sind dies angemessene Verhältnisse. In Erwartung, dass Anara in Heimarbeit kleine Näharbeiten verrichtet, waren die Besucher, begleitet von stellvertretendem Botschafter David Westenfelder, gespannt auf ihre beruflichen Aktivitäten und fragten nach der Nähmaschine.

Was daraufhin berichtet wurde, übertraf alle Erwartungen. Mit den überwiesenen 3.000 Euro hat die Witwe eine kleine Näherei gegründet. In den Räumlichkeiten der alten Wohnung im Vorort Sokuluk arbeiten mittlerweile acht Personen. Als Subunternehmerin für eine kirgisische Kleiderfabrik erhält Anara Stoffe und Schnitte, aus denen sie mit ihrer Mannschaft Pullover schneidert und verpackt. Während Anara sich um das Geschäft kümmert, versorgt ihre Mutter die Kinder. Anara hat sich ganz offensichtlich erfolgreich selbstständig gemacht. Ohne die Hilfe aus Deutschland hätte sie kaum eine selbstbestimmte Zukunft gehabt. Sie wäre sicherlich auf irgendeine Art und Weise vom großen Familienverband aufgefangen worden, aber ihre Zukunft wäre kaum selbstbestimmt gewesen. Zwar steht der Familienverband ihr auch heute noch zur Seite, doch Anara ist zu einer selbstbewussten jungen Unternehmerin geworden.

Wie geht es nun weiter? Das alte Haus, in dem die Näherei untergebracht ist, wurde ihr von einem Verwandten überschrieben, ist aber in keinem guten Zustand. Michael Göllner bat sie, zusammenzustellen, welche dringenden Dinge hier erledigt werden müssen, um zumindest im Winter nicht bei Minusgraden arbeiten zu müssen.

Eine Herzensangelegenheit ist der Gesundheitszustand der ältesten Tochter. Seit Jahren ist das Mädchen durch einen Schaden am Trommelfell gehandicapt. Im kirgisischen Gesundheitssystem bietet sich dafür keine Lösung. Aber die Schwester des Verunglückten wohnt in der Türkei, und dort könnte das Mädchen ohne Visum einreisen und eine Operation bekommen. Michael Göllner bat Anara, dies unbedingt anzugehen.

Es warten also noch einige Aufgaben, und glücklicherweise ist auch noch Geld vorhanden. Michael Göllner und Jens Eyrich freuen sich darauf, den Weg der Familie auch in Zukunft begleiten zu können und haben sich vorgenommen, im nächsten Jahr wieder in das ferne Land zu reisen. Die Dolmetscherin der deutschen Botschaft, die immer zur Seite steht, hat es ganz einfach zusammengefasst: "Es ist eine wirkliche Erfolgsgeschichte, die die starke junge Frau schreibt. Wir erleben hier etwas, was man leider nicht oft sieht. Hilfe, die von Herzen kommt, wird dankbar aufgenommen, kommt wirklich an und zeigt Wirkung."

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