Der gute Geist der Kleiderkammer

Hanau
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Pullover, Hemden und Hosen stapeln sich in den raumhohen Regalen. An den Kleiderständern hängen Jacken für jede Jahreszeit bereit.



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Und auch so manch nützliches aus dem Bereich Haushalt findet sich im gut sortierten Fundus der Kleiderkammer im Franziskus-Haus und wartet hier auf Bedürftige. Der gut gefüllte Kellerraum war über viele Jahre auch das Reich von Maria Grochowina: 38 Jahre hat sie sich ehrenamtlich in der Kleiderkammer engagiert und so manches gute Stück Stoff dabei über den Tresen geschoben. Im Juni feiert die rüstige Rentnerin ihren 90. Geburtstag und gibt deshalb diese Aufgabe nun an neue helfende Hände weiter.

Zweimal wöchentlich öffnet die Kleiderkammer im Franziskus-Haus für jeweils zwei Stunden ihre Türen. Doch die rührige Großauheimerin hat hier viel mehr Zeit verbracht: Vom Vorbereiten der Ausgabetermine bis zum Sortieren der neuen Sachspenden reichte ihre Tätigkeit. Die ehrenamtlichen Stunden, die so im Laufe der 38 Jahre zusammen gekommen sind, lassen sich längst nicht mehr zählen. Für Grochowina war es jedoch keine Arbeit, sondern eine Herzensangelegenheit. „Ich habe es immer gerne gemacht“, fasst sie mit strahlenden Augen zusammen. Kein Wunder, dass die Zeit dabei wie im Flug vergangen ist. Dass sie in Kürze ihren 90. Geburtstag feiern wird, merkt man ihr dabei gar nicht an. An die Anfänge ihres ehrenamtlichen Engagement erinnert sie sich noch gut zurück: „Ich war damals Pfarrsekretärin in der katholischen Pfarrgemeinde Mariae Namen“, erzählt sie. Dort habe sie der damalige Regionaldechant Rudolf Koch gefragt, ob sie in der Kleiderkammer nicht einmal nach dem Rechten schauen könne. Der Anfang eines fast vier Jahrzehnte dauernden Engagements, in dem sich so manch schöne Erinnerung angesammelt hat. Dabei waren es vor allem die Begegnungen mit den Menschen von der Straße, die Grochowina sehr im Herzen bleiben werden. Denn hinter der rauen Schale verbirgt sich auch hier oft ein weicher Kern. Im Gespräch mit den Besuchern in der Kleiderkammer hat sie dabei viel über die Hintergründe und Schicksale der Menschen erfahren, die zu ihr kamen. „Darunter waren Menschen mit den unterschiedlichsten Berufen“, berichtet sie. Menschen, die durch äußere Umstände in eine Notlage geraten seien und sich selbst nicht wieder haben fangen können. Die respektvolle und herzliche Art, mit der Grochowina diesen Menschen begegnete, ist ein Grund dafür, dass sie von ihren Kleiderkammer-Kunden ebenfalls sehr geschätzt wurde.

Für ihr großes Engagement wurde Grochowina bereits 2001 mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Eine Auszeichnung, die gar nicht nötig gewesen wäre, wie sie feststellt: „Wenn es mir keinen Spaß gemacht hätte, hätte ich es nicht getan.“ Darüber hinaus sei ihr Engagement in der Kleiderkammer auch keine Einzelleistung gewesen: „Wir waren immer ein sehr gutes Team“, betont sie. Zwei engagierte Mitstreiterinnen waren auch Maria Oschwald und Rita Schilling, die nach vielen Jahren des gemeinsamen Wirkens nun ebenfalls ihr Amt weitergeben. Das Ende eine Ära der humanitären Hilfe vor Ort, wie Einrichtungsleiter Rainer Broßmann bereits in der Einladung zur Verabschiedung festgestellt hatte. Eine Einschätzung, die auch der Geschäftsführer des Caritas-Verbandes für den Main-Kinzig-Kreis, Robert Flörchinger, teilt: „Sie und all die fleißigen Helferinnen und Helfer haben im Lauf der letzten Jahre und Jahrzehnte an erster Stelle daran mitgearbeitet, dass dieser ehrenamtliche Dienst in der Kleiderkammer so erfolgreich wirken konnte“, bedankt er sich bei den engagierten Damen. Mit Blick auf die fast vier Jahrzehnte, die Grochowina als Koordinatorin für den reibungslosen Ablauf in der Kleiderkammer gesorgt hatte, hob er dabei vor allem die offene und ehrliche Art der 89-Jährigen hervor: „Wenn ich Ihnen begegne, gefällt mir immer wieder, dass Sie eine klare Meinung zu den Dingen haben und Position beziehen.“ Mit ihrer mutigen Art und ihrem ehrenamtlichen Engagement hätten Grochowina und ihre Mitstreiter und Mitstreiterinnen dem Franziskus-Haus und dem kirchlichen Engagement in der Stadt ein ausdrucksstarkes Gesicht gegeben. Auch die Hanauer Stadtverordnetenvorsteherin Beate Funck würdigte den Einsatz von Grochowina und ihren Mitstreiterinnen. „Bedingungslose Hilfe für den Nächsten ist immer noch nicht so weit verbreitet“, stellt sie wissend fest und bedankte sich im Namen der Stadt für den selbstlosen Einsatz: „Worte können nicht beschreiben, wie wichtig und unerlässlich Persönlichkeiten wie Sie für unsere Gemeinschaft sind.“

Auch der frühere Hanauer Stadtpfarrer Monsignore Dr. Norbert Zwergel war der Einladung zur Verabschiedung gerne gefolgt. Er selbst erinnere sich bei Maria Grochowina nach wie vor gerne an die gemeinsame Zeit mit der „hellwachen Pfarrsekretärin“, die er als aufmerksam und stets den Menschen zugewandt beschreibt: „Du bist mit Lust und Schwung an die Sache gegangen und hast den ein oder anderen Schubs gegeben, der gebraucht wurde.“

Auch wenn der Abschied den Damen nach den vielen Jahren ihres Engagements nicht leicht fällt, ist es nun an der Zeit für neue helfende Hände in der Kleiderkammer. Dabei wünscht Grochowina ihren Nachfolgern nicht nur eine gute Hand, sondern vor allem auch immer ein offenes Herz für die Menschen die dorthin kommen werden: „Ich wünsche meinen Nachfolgern, dass sie immer auch ihr Herz mitsprechen lassen und nicht nur das Äußere beurteilen sondern den Menschen sehen.“ Denn hinter jedem Bedürftigen, der in die Kleiderkammer des Franziskus-Hauses kommt, steckt eine Geschichte.

Das Franziskus-Haus ist eine ganzjährig geöffnete Einrichtung der Ökumenischen Wohnungslosenhilfe in Trägerschaft des Caritas-Verbandes für den Mainz-Kinzig-Kreis. Es bietet wohnungslosen Menschen Beratung, Unterkunft und Essen sowie Kleidung. Die sozialpädagogische Arbeit im Übergangswohnheim bietet die Möglichkeit für die Gründung eines eigenen Hausstandes, begleitet durch das Angebot des Betreuten Wohnens.

Foto (von links): In einer Abschiedsfeier würdigten Einrichtungsleiter Rainer Broßmann, Monsignore Dr. Norbert Zwergel das Engagement von Maria Oschwald, Maria Grochowina und Rita Schilling gemeinsam mit Regionalcaritasgeschäftsführer Robert Flörchinger und der Hanauer Stadtverordnetenvorsteherin Beate Funck.


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