„Wir wollen die Familien bestmöglich begleiten“

Hanau
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"Die Sorgen und Ängste von Eltern, wenn sich herausstellt, dass das eigene Kind behindert ist, können wir nicht nehmen. Aber wir können die Familien mit all unseren Möglichkeiten dabei unterstützen, die gesetzlichen Hilfeleistungen in Anspruch zu nehmen", erklärt Bürgermeister Axel Weiss-Thiel (SPD) die Entscheidung der Stadt Hanau, als erste hessische Sonderstatusstadt die neue Gesetzgebung zu nutzen und vom 1. Januar 2020 an die Aufgaben der Eingliederungshilfe für körperlich/geistig behinderte Kinder in Delegation des Landkreises zu übernehmen.



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Die Sorgen und Belastungen von Familien, deren Kinder körperlich, geistig oder seelisch behindert sind, stellen nach wie vor häufig ein gesellschaftliches Tabu dar. Die teilhabebeeinträchtigten jungen Menschen erfahren nicht selten Ausgrenzung in Freizeit und auch Bildungsinstanzen. Ihre Eltern müssen für die Rechte ihrer Kinder und deren Akzeptanz kämpfen. Der Weg durch die Hilfeinstanzen ist und war selten einfach. "Nachdem sich uns als Kommune mit mehr als 50.000 Einwohnern die Chance eröffnet, bekennen wir uns offensiv zu der Verantwortung, die Hanauer Familien auf ihrem nicht einfachen Weg bestmöglich zu begleiten."

Schon bisher wurden Eingliederungshilfeleistungen für seelisch behinderte junge Menschen durch das Jugendamt der Stadt Hanau erbracht. Zur erweiterten Aufgabenübernahme ab Januar 2020 wurde jetzt der neue Fachdienst Inklusion und Teilhabe im Amt für Soziale Prävention, unter dem Dach der Jugendhilfe, gebildet. Das Team startete zum 1. Oktober mit 13 pädagogischen Fachkräften in Teil- und Vollzeitbeschäftigung sowie drei wirtschaftlichen Fachkräfte. Hierfür wurden insgesamt acht neue Kolleginnen und Kollegen eingestellt, die bis zum 1. Januar 2020 alle ihren Dienst antreten werden. Geleitet wird der neue Fachdienst von Mareike Schäferbarthold, die Stellvertretung übernimmt Volker Profeld. Räumlich angesiedelt wurde der Beratungsfachdienst im ersten Stock des Rathauses, damit die Räume möglichst barrierefrei erreicht werden können. Sollte es wider Erwarten trotzdem zu barrierebedingten Problemen kommen, werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gerne weiterhelfen.

Ziel des neuen Fachdienstes ist die Übernahme aller laufenden Eingliederungshilfefälle für körperlich, und /oder geistig beeinträchtigte junge Menschen, die im Hanauer Stadtgebiet leben und aktuell noch beim Sozialamt des Main-Kinzig-Kreises und dem Landeswohlfahrtsverband Hessen betreut werden. Hierbei legt der Sozialdezernent Weiss-Thiel Wert darauf, dass Hanauer Familien keine bürokratischen Hürden beim Zuständigkeitswechsel erfahren müssen.

Raus aus dem Fürsorgesystem der Sozialhilfe und hin zu Leistungen aus einer Hand; so begründet das Bundesteilhabegesetz die komplexen gesetzlichen Änderungen zum 1. Januar 2020, die Hanau jetzt die Möglichkeit eröffnen, diese Aufgaben in Eigenregie zu übernehmen. Intention ist es dabei, behinderten Menschen schnell und unbürokratisch Hilfestellungen zu geben.

"Wenn alle Menschen teilhabebeeinträchtig wären, gäbe es keine Behinderung mehr, sondern nur noch Normalität. Die Stigmatisierung teilhabebeeinträchtigter Menschen liegt nicht in ihrer Behinderung begründet, sondern ist Folge einer gesellschaftlichen Fehlbewertung", unterstreicht die zuständige Amtsleiterin des Amtes für Soziale Prävention, Andrea Knips-Profeld, die Verantwortung jedes einzelnen, dieser Entwicklung entgegenzutreten.

Auch für den neuen Fachdienst ist diese Perspektive wesentlich. Nicht die Behinderung an sich ist das Problem, sondern der gesellschaftliche Umgang hiermit. Die mitleidigen oder abfälligen Blicke der anderen, das Ausgrenzen in der Schule durch die Peergroup, die fehlende Chancengleichheit – all das bildet die Sorgen der Familien und an dieser Stelle will der Fachdienst beraten, unterstützen und auch konkrete Hilfe anbieten. "Wir können keine Wunder bieten, aber ein hochmotiviertes Team wird sein Bestes geben", verspricht Knips-Profeld.

Die Stadt Hanau freut sich an dieser Stelle über die gute Kooperation mit dem Main-Kinzig-Kreis. Der Landeswohlfahrtsverband Hessen hat bereits seine Kunden über den Zuständigkeitswechsel informiert und die Fallübergänge befinden sich in Bearbeitung bei der Stadt Hanau. Hierbei handelt es sich um junge Menschen, die wesentlich körperlich oder geistig teilhabebeeinträchtig sind und in Pflegefamilien leben. Gerade zwischen den Trägern der Sozial- und Jugendhilfe gab es in der Vergangenheit immer wieder Zuständigkeitskonflikte in der Frage, wer letztendlich die Kosten der notwendigen Hilfe trägt. "Diese Sorge können wir den betroffenen Familien nehmen", so Knips-Profeld. Künftig ist es Aufgabe des Rehabilitationsträgers, alles Weitere zu veranlassen.

"Der gewählte Weg ist ein fachliches Novum und kommt den Ansätzen der sogenannten ‚großen Lösung‘ sehr nahe", unterstreicht Bürgermeister Weiss-Thiel die weitreichende Bedeutung der neuen Hanauer Strukturen. Bisher sei jeder Versuch, die Leistungserbringer aller Hilfen für Kinder, ob mit oder ohne Teilhabebeeinträchtigung, unter dem Dach der Kinder- und Jugendhilfe gesetzlich verankert, immer im jeweiligen Gesetzgebungsverfahren gescheitert. "Aktuell wird ein erneuter Anlauf der inklusiven Jugendhilfe im Rahmen der aktuellen Gesetzesreformierung zum SGB VIII diskutiert." In Hanau wolle man aber nicht länger warten und habe deshalb den neuen Fachdienst ins Leben gerufen.

Wie die Amtsleiterin ergänzt, hilft die aktuelle Euphorie im Amt für Soziale Prävention dabei, die besonderen Herausforderungen der nächsten Monate zu bewältigen. Angefangen bei der Teambildung über die fachliche Schulung bis hin zur konkreten Fallübernahme von rund 350 Fällen des Main-Kinzig-Kreises und des LWV reiche das Spektrum der Aufgaben, die neben der Einführung neuer Software und Sicherstellung des Alltagsbetriebes zu bewältigen seien. Eine Evaluation der Arbeit soll schließlich klären, wo der Fachdienst nach Ablauf von zwei Jahren dauerhaft angeschlossen wird.

Foto: Stadt Hanau


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