Anschlag in Hanau: Keine Ermittlungen gegen Polizeibeamte

Hanau
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Die Staatsanwaltschaft Hanau hat am 16.11.2021 die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens betreffend den Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung durch Polizeibeamtinnen und -beamte zum Nachteil des Getöteten F. U. in der Nacht des Anschlags von Hanau am 19.02.2020 abgelehnt. "Nach dem Ergebnis der Vorermittlungen bestehe kein Anfangsverdacht einer Straftat. Ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten von Polizeibeamtinnen und -beamten wurde nach umfangreicher Prüfung der Staatsanwaltschaft Hanau und des Hessischen Landeskriminalamtes in Wiesbaden nicht festgestellt, was sich aus den nachfolgenden Gründen ergibt, die auch den Verfahrensgang skizzieren", teilt Oberstaatsanwalt Dominik Mies mit.



Vor dem Hintergrund von Persönlichkeitsrechten beteiligter Personen wurden die Gründe anonymisiert.

Die Gründe im Wortlaut:

1.)
Mit Schreiben vom 22.03.2021 an das Hessische Ministerium des Innern und für Sport erhoben die Bevollmächtigten mehrerer Überlebender und Angehöriger von Opfern des Anschlags von Hanau am 19.02.2020, bei dem durch einen Täter neun Menschen mit Migrationshintergrund getötet wurden, eine verschiedene Vorwürfe umfassende Dienstaufsichtsbeschwerde. Eine Ablichtung der Dienstaufsichtsbeschwerde wurde über das Hessische Ministerium der Justiz und die Generalstaatsanwaltschaft an die Staatsanwaltschaft Hanau übermittelt und ging hier am 28.07.2021 ein. Gegenstand der hiesigen Vorermittlungen war der unter Ziff. 3 der Dienstaufsichtsbeschwerde erhobene Vorwurf polizeilicher Versäumnisse im Zusammenhang mit der Erstversorgung des im Kiosk 24/7 am Kurt-Schumacher-Platz in Hanau getöteten F. U..

Im Einzelnen führt die Dienstaufsichtsbeschwerde hierzu folgendes aus: „3. Der Täter drang um 22:00 Uhr in den Vorraum der Arena-Bar ein und erschoss M. K. und G. G., die sich dort am Kiosk aufhielten. F. U., der sich ebenfalls dort aufhielt, wurde gleichfalls von Schüssen getroffen, konnte sich jedoch, wie sich aus der Video-Aufzeichnung erschließt, hinter den Tresen des Kiosks ziehen, wo er regungslos liegenblieb. Die um 22:08 Uhr eintreffenden und um 22:10 Uhr das Objekt betretenden Polizeikräfte (s. Videoaufzeichnung) gingen offensichtlich davon aus, dass F. U. wie auch M. K., G. G. tödlich getroffen waren. Weder überprüften sie die Vitalfunktionen von F. U. noch trafen sie lebensrettende Maßnahmen zu Erstversorgung, noch alarmierten sie zeitnah unter Hinweis auf seine äußerst lebensbedrohliche Situation (Brust-/Bauchdurchschussve-rletzung) den Sanitätsdienst. Ein Polizeibeamter stieg dreimal über den Körper von F. U. hinweg, um das Fenster am dortigen Tatort gegen Blicke von außen abzuschirmen, ohne sich auch nur einmal kurz über den Zustand von F. U. zu vergewissern. Im polizeilichen Bericht LEICHENSACHE (KURZ) wird angegeben: Verständigung 22:15 Uhr“, Eintreffen (der ersten) Kräfte S 22:00 Uhr“, Todeszeitpunkt „gegen 21:50 Uhr“. Ferner wird ausgeführt: „Aufgrund der Gesamtsituation, der noch abzuwartenden Spurensicherung und weiterer Maßnahmen ist an die Leichen nicht näher herangetreten worden.“ (PP Südosthessen, LEICHENSACHE (KURZ) vom 21.02.2020 – VNr. LS/0206054/2020). Die standesamtliche Totenurkunde des F. U. nennt als Todeszeitpunkt den 20.02.2020 um 03:10 Uhr.

Ausweislich der aus den Ermittlungsakten des Generalbundesanwalts ersichtlichen Video-Aufzeichnung am Kiosk, wurde erstmals um 22:17 Uhr von einem Notarzt eine Prüfung der Vitalfunktionen vorgenommen. Die unterlassene Vergewisserung durch die Polizeikräfte, die als erstes am Tatort waren, und versäumte polizeiliche Hilfeleistung hat die Möglichkeit verhindert, F. U. zeitnah die rechtlich gebotene Erstversorgung zukommen zu lassen. Der geschilderte Sachverhalt ergibt sich aus der Videoaufzeichnung des Tatherganges im Vorraum der Arena-Bar und am Kiosk sowie aus dem vom Rechtsmedizinischen Institut der Goethe-Universität erstellten Obduktionsbericht betreffend F. U. (Obduktion am 22.02.2020 – Sektionsnr. 0144/20 – Obduzenten: Ke/MK, Az. A2000932).“ Zur Prüfung der Frage, ob ein Anfangsverdacht der unterlassenen Hilfeleistung durch Polizeibeamte zum Nachteil des F. U. vorliegt, wurden daraufhin von hier aus Vorermittlungen veranlasst, da die der Staatsanwaltschaft zur Verfügung stehenden Erkenntnisse zur Beurteilung nicht ausreichten (zu sog. „Vorermittlungen“ vgl. KK-StPO/Diemer, 8. Aufl. 2019, StPO § 152 Rn. 10).

2.)
Das Vorliegen eines Anfangsverdachtes setzt voraus, dass zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die es als möglich erscheinen lassen, dass eine verfolgbare Straftat vorliegt (Meyer-Goßner / Schmitt, StPO, 64. Aufl. 2021, § 152 Rdnr. 4 m.w.N.). Dies ist nach dem Ergebnis der durchgeführten Vorermittlungen nicht der Fall. Im Rahmen der Vorermittlungen wurden Aktenteile des Ermittlungsverfahrens des Generalbundesanwaltes betreffend den Anschlag von Hanau beigezogen, soweit sie im Zusammenhang mit der hier gegenständlichen Fragestellung stehen, und entsprechend ausgewertet. Weiter wurden die Videoaufzeichnungen des Kiosk 24/7 sowie Audioaufzeichnungen der im gegenständlichen Zeitraum bei der Polizei (110) sowie der Rettungsleitstelle (112) eingegangenen Notrufe sowie die Einsatzprotokolle der Rettungsleitstelle des Main-Kinzig-Kreises, der Tatort- / Fundortbesichtigungsbericht des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Frankfurt/M., der Obduktionsbericht und der Leichenschauschein des F. U. einer eingehenden Auswertung unterzogen. Zusätzlich erfolgte eine Beiziehung von Ermittlungsergebnissen aus dem gesonderten hiesigen Ermittlungsverfahren 22419 UJs 46694/21 (EV „Notruf“). Weiter erfolgte eine zeugenschaftliche Vernehmung des (ersten) Einsatzleiters des Rettungsdienstes H., der Notärzte Z. und Dr. W. sowie der Rechtsmediziner Dr. Kl. und PD Dr. Ke..

3.)
Der zeitliche Ablauf des Anschlagsgeschehens am 19.02.2020 stellt sich, soweit er für die hier gegenständlichen Fragestellungen relevant ist, nach dem im Vermerk vom 16.10.2020 zusammengefassten Ergebnis der Ermittlungen des Bundeskriminalamtes („Tathergang anhand der erlangten Ermittlungserkenntnisse“), und der im Rahmen der Vorermittlungen gewonnenen Erkenntnisse folgendermaßen dar: Nachdem ein Attentäter ab 21:55:43 Uhr in der Hanauer Innenstadt K. V., F. S. und S. G. erschossen hatte, fuhr dieser, verfolgt von dem später getöteten V. P. zum Kurt-Schumacher-Platz im Hanauer Ortsteil Kesselstadt, wo er um ca. 22:00 Uhr ankam. Dort bremste der Attentäter den ihn nach wie vor verfolgenden V. P. aus, stieg aus seinem Fahrzeug und erschoss V. P..Unmittelbar danach begab er sich in den an den Parkplatz angrenzenden Kiosk 24/7 und erschoss dort ab 22:00:26 Uhr im Zeitraum von wenigen Sekunden G. G., M. K. und F. U.. Bei dem Kiosk 24/7 handelt es sich um einen rechteckigen Raum mit einer Grundfläche von knapp 35 m². Gegenüberliegend vom Eingang befindet sich eine im rechten Winkel zum Eingang verlaufende Verkaufstheke. Am vom Eingang aus gesehen linken Rand der Theke befindet sich eine Säule und links daneben ein schmaler Durchgang. Im Bereich dieses Durchgangs befindet sich ein wiederum im rechten Winkel von der Theke abgehendes Türchen, welches in etwa so hoch ist wie die Theke. Durch dieses Türchen gelangt man in den Bereich hinter der Theke, der - vom Eingang aus gesehen - etwa das hintere Drittel des Verkaufsraumes ausmacht. M. K. und G. G. kamen nach den Schüssen im Bereich des vorbeschriebenen Durchgangs links neben der Verkaufstheke zum Liegen. F. U. kam im Bereich hinter der Theke zum Liegen. Nach den Schussabgaben im Kiosk 24/7 lief der Attentäter in die benachbarte Arena Bar und erschoss dort binnen 13 Sekunden S. H. und - den später verstorbenen – H. K.. Weitere Personen wurden an mehreren Orten des Anschlagsgeschehens ebenfalls durch Schüsse verletzt. Knapp eine Minute nach seiner Ankunft flüchtete der Attentäter mit seinem PKW vom Kurt-Schumacher-Platz.

4.)
Der chronologische Geschehensablauf nach Eintreffen von Polizei, Rettungskräften und schließlich der Rechtsmedizin stellt sich nach Auswertung der Videoaufzeichnungen des Kiosk 24/7, der Einsatzdokumentation des Rettungsdienstes, dem Tatort-/ Fundortbesichtigungsbericht des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Frankfurt/M. und - ergänzend - den Ergebnissen des gesonderten Ermittlungsverfahrens 22419 UJs 46694/21 wie folgt dar: Durch die an der Seite des Eingangs des Kiosks befindliche Videoüberwachungskamera wurde der Verkaufsraum des Kiosks nicht vollständig erfasst. Die Sicht wurde teilweise durch die am linken Rand der Verkaufstheke befindliche Säule und - soweit es den Bereich hinter der Verkaufstheke betrifft - durch die Theke selbst behindert. Nachdem F. U. im Bereich hinter der Theke zum Liegen gekommen war, wurde er durch die Videoüberwachung nicht mehr erfasst. Auch unterhalb der Videoüberwachungskamera im Eingangsbereich befand sich ein toter Winkel.

Voranzustellen ist weiter, dass festgestellt wurde, dass der Zeitstempel der Videoüberwachung der Arena Bar und des Kiosk 24/7 eine Diskrepanz von etwa minus 7 Minuten zur Echtzeit aufweist. Dies wurde im Rahmen der Ermittlungen zum Anschlagsgeschehen durch das Bundeskriminalamt festgestellt, wobei die Diskrepanz insoweit nicht sekundengenau bestimmt wurde und vor dem Hintergrund des Zeitablaufs auch nicht mehr bestimmt werden kann. Im Folgenden wird jeweils die Echtzeit benannt. Um 22:00:50 Uhr ging bei der Leitstelle der Feuerwehr erstmals ein Notruf ein, der das Anschlagsgeschehen in Hanau-Kesselstadt, also am zweiten Anschlagsort, zum Gegenstand hatte. Der Notruf hatte eine Gesamtdauer von 07:48 Minuten. Der Anrufer meldete eine Schießerei am Kurt-Schumacher-Platz. Der Notrufdisponent fragte zunächst zweimal nach, ob er sich sicher sei, dass es sich um den Kurt-Schumacher-Platz handele. Augenscheinlich erfasste der Notrufdisponent im ersten Moment nicht sogleich, dass man es nunmehr zusätzlich mit einem zweiten Anschlagsort zu tun habe. Nach einer Gesprächsdauer von 01:38 Minuten leitete der Notrufdisponent der Feuerwehr den Notruf an die Polizei weiter, und zwar die Leitstelle des Polizeipräsidiums Südosthessen in Offenbach. Diese war zu diesem Zeitpunkt bereits über Funk in das Einsatzgeschehen in Hanau involviert. Die den Notruf nunmehr weiterbearbeitende Polizeibeamtin in der Leitstelle Offenbach/M. fragte den Mitteiler eingangs, ob dieser Kurt-Schumacher in Hanau gemeldet habe. Daraufhin erklärte der Mitteiler, dass der Täter mit einem schwarzen BMW gekommen sei und sich ein silberner Mercedes noch vor Ort befinde. Der Täter habe auf den Mercedes mehrere Schüsse abgegeben, sei dann in die Bar reingelaufen und habe dort nochmals mindestens vier Schüsse abgegeben. Vor diesem Hintergrund ging die Notrufbeamtin augenscheinlich zunächst davon aus, dass sich die Schilderung des Mitteilers auf die bereits bekannte Schussabgabe in der der Hanauer Innenstadt beziehe und fragte entsprechend nach.

Daraufhin erklärte der Mitteiler erneut, dass sich der von ihm geschilderte Sachverhalt am Kurt-Schumacher-Platz ereignet habe. Als die Polizeibeamtin nunmehr erfasste, dass man eine weitere Tatörtlichkeit habe, forderte sie über Funk um 22:05 Uhr Rettungskräfte an. Bereits einige Sekunden zuvor um 22:04 Uhr meldete die Polizeistation Hanau I über Funk eine Schussabgabe am Kurt-Schumacher- Platz. Kurz zuvor um 22:04:06 Uhr hatten jeweils eine Streifenbesatzung der Polizeistation Maintal sowie der Polizeiautobahnstation Langenselbold mitgeteilt, dass sie mit Sondersignalen auf dem Weg nach Hanau seien. Vorgesehener Einsatzort war jeweils der erste Tatort in der Hanauer Innenstadt. Nach Bekanntwerden des zweiten Tatortes am Kurt-Schumacher-Platz in Hanau-Kesselstadt wurde die Streife der Polizeistation Maintal per Funk um 22:06 Uhr zum Tatort Kurt-Schumacher-Platz umdirigiert und traf dort um 22:08 Uhr ein. Ausweislich der Aufzeichnung der Videoüberwachung der Arena Bar betraten gegen 22:10 Uhr zwei männliche und eine weibliche Polizeibeamtin im Abstand von wenigen Sekunden die Arena Bar. Um 22:13 Uhr wurde erstmals ein Polizeibeamter durch die Videokamera erfasst. Es ist aus der Videoüberwachung ersichtlich, dass dieser mit einer im Kiosk befindlichen Person sprach und diesen augenscheinlich wegschickte. Anschließend ging der Polizeibeamte aus dem Sichtbereich der Kamera. Der Bereich hinter dem Verkaufstresen wurde durch den Polizeibeamten zu diesem Zeitpunkt nicht betreten. Aus der Einsatzdokumentation der Rettungsleitstelle des Main-Kinzig-Kreises geht hervor, dass um 22:05 Uhr die Rettungswagen DRK MKK 19-83-1 (im Folgenden: 19-83-1), DRK MKK 14-84-7 (im Folgenden: 14-84-7) und DRK 19-83-2 (im Folgenden: 19-83-2) alarmiert und jeweils binnen weniger als einer Minute die Rettungswache in Richtung des Ereignisortes verlassen haben. In kurzer Folge wurden weitere Rettungsfahrzeuge entsandt. Die Rettungswagenbesatzung 14-84-7 kam gemäß der Einsatzdokumentation der Leitstelle um 22:13 Uhr am Ereignisort an. Das genaue Eintreffen der zwei weiteren zeitgleich entsandten Rettungswagenbesatzungen lässt sich aus der Einsatzdokumentation der Leitstelle nicht ersehen, da diese den entsprechenden Statusmelder des jeweiligen Fahrzeuges bei Eintreffen nicht betätigt hatten.

Aus der Einsatzdokumentation des zunächst mit der Einsatzleitung vor Ort betrauten Zeugen H., der als Sanitäter der Rettungswagenbesatzung 19-83-2 angehörte, ist jedoch ersichtlich, dass die Rettungsfahrzeuge 19-83-1 und 19-83-2 ebenfalls um 22:13 Uhr vor Ort ankamen. Weiter geht aus der Einsatzdokumentation des Zeugen H. hervor, dass bei Eintreffen vor Ort auf dem Parkplatz in einem PKW eine Person ohne Lebenszeichen aufgefunden worden sei. Eine weitere Person habe vor dem Kofferraum des betreffenden PKW gesessen und eine blutende Halswunde aufgewiesen, die von einem Polizeibeamten mittels manueller Kompression versorgt worden sei. Eine weitere Person sei der Rettungswagenbesatzung entgegengekommen und habe eine Schulterverletzung aufgewiesen. Ein vor der Arena Bar stehender Polizeibeamter habe rufend darauf hingewiesen, dass sich in der Arena Bar noch weitere „Patienten“ befänden. Daraufhin sei die Arena Bar schnell abgegangen worden. Dort sei eine liegende Person mit einer Beinverletzung aufgefunden worden. Weiter sei eine liegende Person ohne Lebenszeichen und eine Person mit einer Kopfverletzung festgestellt worden, die von einem Polizeibeamten versorgt worden sei. Daraufhin sei die Rettungswagenbesatzung 14-84-7 zu dem Patienten mit der Kopfverletzung beordert worden. Es sei dann eine Lagemeldung an die Leitstelle abgesetzt und ein MANV 10 angefordert worden. Bei MANV10 handelt es sich um die Abkürzung für die rettungsdienstliche Einsatzlage „Massenanfall von Verletzten bzw. Erkrankten bis zu zehn Personen“. Hierauf folgt dann eine entsprechende Entsendung von Einsatzkräften bzw. -mitteln.

Ausweislich der Einsatzdokumentation der Leitstelle erfolgte die vorgenannte Lagemeldung, einschließlich der Meldung des MANV 10, um 22:15 Uhr. Der betreffende Anruf des Zeugen H. ist auf der Notrufleitung der Leitstelle des Rettungsdienstes aufgezeichnet worden. Gemäß der Einsatzdokumentation des Zeugen H. habe ein Polizeibeamter diesen anschließend darauf aufmerksam gemacht, dass sich im Kiosk 24/7 weitere „Patienten“ befänden. Durch den Zeugen H. seien dann links des Kassenbereiches liegend eine männliche und eine weibliche Person jeweils ohne Lebenszeichen aufgefunden worden. Hiernach sei telefonisch eine neuerliche Lagemeldung abgesetzt worden. Auf der Videoaufzeichnung des Kiosk 24/7 ist erkennbar, dass ein Rettungsdienstmitarbeiter um 22:16:09 Uhr den Kiosk betreten und sich für einige Sekunden in den vorbeschriebenen Bereich links der Theke begeben hat. Durch den Pfosten links der Theke wurde die Sicht auf den weiteren dortigen Geschehensablauf versperrt. Um 22:16:28 Uhr erschien der Rettungsdienstmitarbeiter wieder im Sichtbereich der Kamera und begab sich augenscheinlich telefonierend in Richtung des Ausgangs, der wiederum nicht von der Videoüberwachung erfasst wurde. Auf der Notrufleitung der Leitstelle des Rettungsdienstes wurde in diesem Zeitraum eine Lagemeldung des Einsatzleiters des Rettungsdienstes vor Ort aufgezeichnet, und zwar ab 22:16:33 Uhr.

Auf der Videoüberwachung ist weiter erkennbar, dass um 22:17 Uhr zwei Mitarbeiter des Rettungsdienstes erneut den Kiosk 24/7 betraten und sich für mehrere Sekunden außerhalb des durch den dort befindlichen Pfosten eingeschränkten Sichtfeldes der Kamera im Bereich links der Verkaufstheke aufhielten. Wenige Sekunden nach Verlassen des Kiosks durch die Mitarbeiter des Rettungsdienstes ist auf der Videoüberwachung zu sehen, dass um 22:18 Uhr ein Polizeibeamter den Kiosk betrat, am linken Pfosten vorbeiging und sich in den Bereich hinter der Verkaufstheke begab. Dort versuchte er zunächst erfolglos eine Jalousie herunterzulassen und begab sich in Richtung des Ausgangs. Um 22:19 Uhr betrat zunächst eine Polizeibeamtin den Bereich neben dem linken Pfosten und verließ den Kiosk anschließend wieder. Ebenfalls um 22:19 Uhr begab sich erneut ein Polizeibeamter am linken Pfosten vorbei in den Bereich hinter der Verkaufstheke und spannte dort einen Schirm augenscheinlich als Sichtschutz vor Blicken von außerhalb des Kiosks durch eine dort befindliche Schaufensterscheibe auf. Weiter ließ er eine Jalousie herunter. Um 22:24 Uhr betraten ausweislich der Videoüberwachung ein Notarzt (gekennzeichnet durch die entsprechende Beschriftung der Jacke) und zwei Rettungsdienstmitarbeiter den Kiosk 24/7. Ausweislich der Einsatzdokumentation des Zeugen H. habe es sich hierbei um den Notarzt der Notarzteinsatzfahrzeugbesatzung OF 32-82-1 gehandelt. In der Einsatzdokumentation der Leitstelle wurde vermerkt, dass die Notarzteinsatzfahrzeugbesatzung um 22:07 Uhr dem Einsatz zugeteilt wurde. Der genaue Zeitpunkt des Eintreffens am Einsatzort ist nicht dokumentiert. Der Notarzt und die Rettungsdienstmitarbeiter begaben sich in den Bereich links der Verkaufstheke und übten dort in Bodenhöhe Tätigkeiten aus, wobei Einzelheiten auf der Videoüberwachung nicht zu erkennen sind. Der Notarzt begab sich anschließend in den Bereich hinter der Verkaufstheke und bückte sich zeitweise ab, wobei Einzelheiten aufgrund der die Sicht versperrenden Verkaufstheke nicht erkennbar sind. Ausweislich der - 10 -

Einsatzdokumentation des Zeugen H. seien die drei Toten im Kiosk durch den Notarzt jeweils „ärztlich gesehen“ worden. In der Einsatzdokumentation der Leitstelle wurde um 22:31 Uhr vermerkt, dass sich vor Ort am Kurt-Schumacher-Platz fünf Tote befänden. Zuvor waren in der Einsatzdokumentation vier Tote verzeichnet. Bei dem fünften Toten handelt es sich nach der Einsatzdokumentation der Leitstelle des Main-Kinzig-Kreises und des Zeugen H. offenkundig um den F. U., wobei dessen Personalien zu diesem Zeitpunkt noch nicht feststanden. Bei den zuvor festgestellten vier Toten handelt es sich um V. P., S. H., M. K. und G. G.. Der ebenfalls in der Arena Bar verletzte H. K. wurde zunächst medizinisch versorgt und verstarb erst später im Krankenhaus. Ausweislich der Einsatzdokumentation des Zeugen H. war der im Kassenbereich liegende dritte Tote im Kiosk (F. U.) bei dem ersten Abgehen des Kiosks um 22:15 Uhr noch nicht gefunden worden. Der „Zugang“ sei „aufgrund der beiden anderen Toten erschwert“ gewesen. Um 22:43 Uhr traf zusätzlich der Leitende Notarzt Dr. W. vor Ort ein. Nach erfolgter Übergabe des Einsatzortes durch den Zeugen H. erfolgte ausweislich der Einsatzdokumentation des Zeugen Dr. W. ab ca. 23:05 Uhr eine Sichtung des Einsatzortes durch diesen. Um 23:21 Uhr betraten ausweislich der Videoüberwachung der Zeuge Dr. W. (gekennzeichnet durch die Beschriftung „Ltd. Notarzt“ auf dem Jackenrücken) und mehrere Rettungsdienstmitarbeiter den Kiosk 24/7. In der Zeit ab 23:21:47 Uhr verrichteten zwei Rettungssanitäter und der Zeuge Dr. W. hinter der Verkaufstheke in dem Bereich, in dem F. U. lag, über einen Zeitraum von etwa dreieinhalb Minuten verschiedene Tätigkeiten, wobei Einzelheiten aufgrund der die Sicht versperrenden Verkaufstheke nicht erkennbar sind. In der Übersichtsdokumentation des Leitenden Notarztes Dr. W. ist F. U. als lfd. Nr. 8 erfasst und als verstorben gekennzeichnet. Ausweislich des Tatort-/Fundortbesichtigungsberichtes des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Frankfurt/M. vom 22.06.2020 sei ein Mitarbeiter der Rechtsmedizin um 02:01 Uhr über ein Tötungsdelikt telefonisch in Kenntnis gesetzt worden. Ab ca. 03:00 Uhr seien mehrere Rechtsmediziner vor Ort am Kurt-Schumacher-Platz eingetroffen. Dort sei zunächst in der Arena Bar eine Besichtigung der Leiche des S. H. und anschließend auf dem Parkplatz eine Besichtigung der in dem PKW Mercedes befindlichen Leiche des V. P. durchgeführt worden. Hiernach sei die Wohnung des mutmaßlichen Täters in Augenschein genommen worden. Zu diesem Zweck sei die Tatortbesichtigung am Kurt-Schumacher-Platz unterbrochen und erst am 20.02.2020 ab 16:20 Uhr mit der Besichtigung des Kiosk 24/7 fortgesetzt worden. Ab 16:28 Uhr sei die Besichtigung der Leiche der M. K. und anschließend ab 17:13 Uhr die Besichtigung der Leiche des G. G. erfolgt. Ab 18:23 Uhr sei dann die Leiche des F. U. besichtigt worden. Bei diesem seien Leichenflecke und Leichenstarre festgestellt worden. Um 19:04 Uhr sei die Tatort-/Fundortbesichtigung beendet und im Anschluss die Leichen durch ein Bestattungsunternehmen in das Institut für Rechtsmedizin transportiert worden.

Auf dem Leichenschauschein des F. U. wurde über der Rubrik „Zeitpunkt des Todes“ handschriftlich der Zusatz „Feststellung“ angebracht. Daneben wurde als Zeitpunkt der 20.02.2020, 03:10 Uhr, angegeben. Als Todesursache wurde „Verbluten nach innen als Folge von Brust- bzw. Bauchdurchschuss“ angegeben. In der Rubrik „Sichere Zeichen des Todes“ wurden die Felder „“Totenstarre“ und „Totenflecke“ angekreuzt. In der Rubrik „Ort, Datum und Zeitpunkt der Leichenschau“ wurde „Frankfurt, 22.02.20 9:35 Uhr“ angegeben. Unterschrieben wurde der Leichenschauschein durch Frau Dr. Kl. vom Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Frankfurt/M.. In der Sterbeurkunde des Standesamtes der Stadt Hanau für F. U. wurde unter der Rubrik „Tag, Uhrzeit des Todes“ der „20.02.2020, 03:10 Uhr“ angegeben. Als Ort des Todes wurde Hanau angegeben.

5.)
Im Rahmen der Vorermittlungen wurde am 28.09.2021 der zunächst mit der Leitung des Einsatzes am Kurt-Schumacher-Platz betraute Notfallsanitäter H. zeugenschaftlich vernommen. Der Zeuge H. bestätigte inhaltlich die vorbeschriebenen Angaben der Einsatzdokumentation. Er gab an, dass sie initial gleichzeitig mit drei Rettungswagen verständigt worden seien. Bei einer sog. MANV-Lage sei der intiale Kräfteeinsatz noch zu klein für die Lagebewältigung. Es erfolge daher eine Priorisierung. Insgesamt sei es seine Aufgabe gewesen, wie bei einer MANV-Lage üblich, eine Sichtung dahingehend durchzuführen, ob die jeweiligen Patienten eine Überlebenschance haben. Früher habe man so etwas eine „Triage“ genannt, heute nenne man es „Sichtung“. Bei Eintreffen vor Ort hätten sie zunächst auf dem Parkplatz eine Person mit einer Halsverletzung, eine Person mit einer Armverletzung und in einem Mercedes eine Person mit Kopfschussverletzung festgestellt. Ein Polizist habe bei ihrem Eintreffen die Person mit der Halsverletzung versorgt. Dann habe ihn ein Polizist darauf hingewiesen, dass sich in der Bar weitere „Verletzte“ befänden. Dort habe er eine Person mit einer Beinverletzung, eine Person ohne Lebenszeichen sowie eine bewusstlose Person mit geringen Lebenszeichen und einer Kopfverletzung festgestellt. Die Person mit der Kopfverletzung sei zu diesem Zeitpunkt von einem Polizisten versorgt worden. Er habe daraufhin eine der Rettungswagenbesatzungen in die Bar gesandt. Von einem Polizisten sei ihm dann mitgeteilt worden, dass es auch im Kiosk „Patienten“ gebe. Im Kiosk habe er zwei leblose Personen vor dem Tresen liegend festgestellt. Zu diesem Zeitpunkt habe er nicht gewusst, dass hinter dem Tresen eine weitere Person liege. Um dies zu bemerken hätte er über die beiden Toten steigen müssen. Man steige im Rettungsdienst jedoch grundsätzlich nicht über „Patienten“. Der Zeuge H. bestätigte bei Inaugenscheinnahme der Videoüberwachung des Kiosk 24/7, dass es sich bei dem um 22:16 Uhr auf der Videoüberwachung erkennbaren Rettungsdienstmitarbeiter um ihn handele. Das Video zeige den Ablauf, als er den Kiosk betreten und im Rahmen der Sichtung festgestellt habe, dass zwei dort am Boden liegende Personen keine Lebenszeichen aufgewiesen hätten, weshalb hier auch nichts weiter veranlasst worden sei. Dann habe er der Rettungsleitstelle telefonisch eine Lagemeldung übermittelt, und zwar des Inhalts, dass es nunmehr vier Tote seien. Hierbei habe es sich um den Toten im Mercedes (Anm.: V. P.), den Toten in der Arena Bar (Anm.: S. H.) und die zu diesem Zeitpunkt nunmehr im Kiosk aufgefunden weiteren zwei Toten (Anm.: G. G. und M. K.) gehandelt. Der Zeuge H. bekundete, dass die Videoüberwachung um 22:17 Uhr ihn und eine Kollegin zeige. Zu diesem Zeitpunkt hätten sie die bis dahin durch ihn im Kiosk aufgefundenen zwei Toten mit Armbändchen markiert. Die Videoüberwachung um 22:24 Uhr zeige ihn, den Zeugen H., sowie einen Notarzt und dessen Fahrer. Er habe dem Notarzt die beiden Leichen vor dem Verkaufstresen gezeigt. Er wisse nach der langen Zeit aber nicht mehr, ob er den Notarzt auch auf die weitere hinter dem Tresen befindliche Leiche (F. U.) hingewiesen habe. Man sehe aber auf dem Video, dass der Notarzt am Tresen entlang zu dem dritten Toten gegangen sei, der hinter dem Tresen gelegen habe. Der Zeuge H. erklärte, es sei ihm ein Anliegen festzuhalten, dass die an diesem Abend eingesetzten Polizeibeamten sehr gute Arbeit geleistet hätten. Die Verletzten seien von den Polizisten bis zum Eintreffen der Rettungskräfte erstversorgt worden. Weiter seien die Rettungsdienstkräfte die ganze Zeit durch die Polizisten abgeschirmt worden, um in Ruhe arbeiten zu können. Teilweise sei er nämlich von Anwesenden „angegangen“ worden.

6.)
Am 04.11.2021 wurde der am 19.02.2020 als Notarzt eingesetzte Zeuge Z. vernommen. Dieser gab an, dass sie nach Eintreffen am Einsatzort zunächst von einem Polizeibeamten zu einem PKW der Marke Mercedes geführt worden seien. In diesem habe ein junger Mann gesessen, der tot gewesen sei (Anm.: V. P.). Dann sei ein anderer Polizeibeamter gekommen und habe sie gerufen. Sie seien dann zuerst in den Kiosk und anschließend in die Arena Bar gegangen. Im Falle einer MANV-Lage nehme der erste am Einsatzort eingetroffene Notarzt eine Sichtung vor, d.h. er begutachte den Einsatzort aus ärztlicher Sicht. Bis zum Eintreffen des Leitenden Notarztes nehme er die Funktion des Leitenden Notarztes wahr. Die im Kiosk festgestellten Personen seien tot gewesen. Er habe bei diesen keine Lebenszeichen festgestellt. Er habe jeweils geprüft, ob ein Puls bzw. Atmung festgestellt werden könne. Irrtümlich ging der Zeuge Z. in seiner Vernehmung zunächst davon aus, dass sich im Kiosk vier Tote befunden hätten. Bereits eingangs der Vernehmung hatte der Zeuge jedoch darauf hingewiesen, dass er sich nicht mehr an alles erinnern könne. Es sei schon eine Ausnahmesituation gewesen. Mit dem Zeugen wurde gemeinsam die Videoüberwachung in Augenschein genommen. Hierbei gab er an, dass er die dort um 22:24 Uhr zu sehende Person mit der Jacke mit der Aufschrift „Notarzt“ sei. Er habe zunächst um 22:24:21 Uhr bei den links neben der Säule liegenden zwei Personen (Anm.: M. K. und G. G.) „im Schnelldurchlauf geguckt, ob die Personen noch atmen und Puls haben“. Ab 22:24:31 Uhr habe er bei F. U. den Puls gefasst und die Atmung überprüft. Das sei „quasi eine parallele Handlung“. Mit der einen Hand fühle er den Puls des Patienten am Hals und mit der anderen über Nase und Mund, ob er Atmung feststellen könne. Auf Frage, was er festgestellt hatte, erklärte der Zeuge, dass er vermutlich festgestellt habe, dass dieser verstorben sei. Er wäre sonst nicht weggegangen. Im Anschluss sei er in die Arena Bar gegangen. Dort habe er einen Toten und vier Verletzte festgestellt. Dort habe er sich schließlich, nachdem die anderen Verletzten auf die Rettungswagen verteilt worden seien, um die Versorgung eines Mannes (Anm.: H. K.) gekümmert, der starke Blutungen am Kopf und eine paradoxe Atmung aufgewiesen habe. Grundsätzlich habe bei einer MANV-Lage der erste eingetroffene Notarzt nur die Aufgabe der Sichtung, bis ein Leitender Notarzt eintreffen und dem Notarzt einen Patienten zuweise. Vorliegend sei jedoch in absehbarer Zeit nicht mit dem Eintreffen eines weiteren Notarztes zu rechnen gewesen. Der verletzte Mann habe noch vor Ort intubiert werden müssen und sei unter künstlicher Beatmung in einen Rettungswagen verbracht worden. Er sei dann mit dem Rettungswagen und dieser verletzten Person in das zugewiesene Krankenhaus gefahren. Leider habe dieser Mann den Anschlag nicht überlebt.

7.)
Am 28.10.2021 wurde der am 19.02.2020 als Leitender Notarzt eingesetzte Zeuge Dr. W. vernommen. Dieser gab an, dass er um 22:30 Uhr alarmiert worden und um 22:43 Uhr an dem ihm genannten Bereitstellungsort Burgallee/Ecke Karlsbader Straße eingetroffen sei. Von dort habe er sich zu Fuß zum Kurt-Schumacher-Platz begeben und den organisatorischen Leiter des Rettungsdienstes (Anmerkung: den Zeugen H.) getroffen, mit dem er eine Übergabe durchgeführt habe. Ihm sei mitgeteilt worden, dass sich alle Verletzten bereits in Rettungsfahrzeugen befänden und auch die Zielkrankenhäuser bereits geklärt seien. Daher habe er keine Sichtung der Verletzten vorgenommen. Weiter sei gesagt worden, dass es fünf Tote gebe und diese noch gesichtet werden müssten, d.h. der Tod müsse noch ärztlich festgestellt werden. Er und eine Rettungswagenbesatzung seien dann mit einem Monitor und Defibrillator die Einsatzstelle abgegangen, hätten EGK-Messungen durchgeführt, hierbei „eine Nulllinie detektiert“ und bei den Verstorbenen Verletzten-Anhängekarten markiert. Währenddessen sei die Frage, ob vor Ort Sicherheit bestehe, noch unklar gewesen. Aufgrund der „diffusen Gefahrenlage“ sei die Sichtung unter Schutz der Polizei erfolgt. Zuerst habe er sich zum Mercedes (Anmerkung: dem von V. P. geführten PKW), danach in die Arena Bar und schließlich in den Kiosk 24/7 begeben. Im Kiosk 24/7 habe er dann eine Übergabe mit dem weiteren Leitenden Notarzt Dr. S. durchgeführt. Es sei vereinbart worden, dass er die Gesamteinsatzleitung weiterführe und Dr. S. „die weitere Sichtung mache“. Mit dem Zeugen Dr. W. wurde sodann die Aufzeichnung der Videoüberwachung des Kiosk 24/7 ab 23:21 Uhr in Augenschein genommen. Der Zeuge bekundete, dass er die dort zu sehende Person mit der Jacke mit der Aufschrift „Ltd. Notarzt“ sei. Die Rettungssanitäter hätten grundsätzlich den Auftrag gehabt, EKG´s zum Messen möglicher Herzströme „aufzukleben“. Um 23:25:06 Uhr sei auf der Videoüberwachung zu sehen, dass der bei F. U. befindliche Rettungssanitäter das Kabel eines EKG in der Hand halten müsste. Als dieser den Bereich hinter dem Tresen verlasse, sehe man auch, dass dieser das „Life-Pack“, den Monitor, in der linken Hand halte und dazu passend das Kabel des EKG´s. Um 23:25:10 Uhr sehe man, wie er, der Zeuge Dr. W., den EKG-Ausdruck in die Plastikhülle der Verletzten-Anhängekarte stecke, die beim Leichnam verbleibe. Auf der Anhängekarte sei ein schwarzer Streifen zu sehen. Daran könne man erkennen, dass die Person als verstorben gesichtet worden sei. Er habe den Tod des F. U. formal festgestellt, aber nicht die Dokumentation im Sinne eines Leichenschauscheins. Ziel seiner Untersuchung sei es gewesen, sicherzustellen, dass niemand fälschlicherweise für tot erklärt werde. Er habe sich zur Feststellung des Todes für das EKG entschieden, um „erstens in der Gefahrenlage sicher den Tod festzustellen“ und andererseits, da es sich um einen Tatort gehandelt habe, „auf eine komplette Leichenschau primär verzichtet“. Er habe der Polizei später angeboten, dass er oder ein anderer Arzt die Leichenschau inklusive Ausstellung des Leichenschauscheins durchführe bzw. durchführen lasse. Dies sei durch die Polizei abgelehnt worden, er meine mit Verweis auf die Rechtsmedizin.

8.)
Am 10.11.2021 wurde die Rechtsmedizinerin Dr. Kl. zeugenschaftlich vernommen. Sie bekundete, dass zuerst die Rechtsmediziner Dr. Ke. und B. vor Ort am Kurt-Schumacher-Platz eingetroffen seien. Sie sei dann auch hinzugezogen worden und zwischen 04:00 und 05:00 Uhr von zuhause losgefahren. Dr. Ke und Frau B. hätten zunächst die Leichen von V. P. und S. H. besichtigt. In den Kiosk 24/7 hätten sie zunächst noch nicht gehen sollen, da durch die Polizei dort noch Aufnahmen mit einer Sphärenkamera getätigt worden seien. Sie (Anmerkung: die Rechtsmediziner) seien dann zunächst in das Elternhaus des Tatverdächtigen gefahren. Am 20.02.2020 gegen 16:20 Uhr seien sie wieder zum Kurt-Schumacher-Platz gefahren und hätten sich den Kiosk 24/7 angeschaut. Dort sei zunächst ab 16:28 Uhr die Leiche der M. K. und ab 17:13 Uhr die Leiche des G. G. besichtigt worden. Um 18:23 Uhr sei mit der Leichenbesichtigung des F. U. begonnen worden. Die Leichen seien aufgrund der Spurenlage nach wie vor bekleidet gewesen. Vor Ort hätten sie die Leichen nicht ausgezogen. Unter seinem Parka habe F. U. noch weitere Lagen Kleidung getragen. Dies hätten sie sich Schicht für Schicht angeschaut, diesen aber nicht ausgezogen. Sie hätten die „sicheren Todeszeichen“ geprüft und als solche Zeichen Leichenflecken sowie Leichenstarre festgestellt. Die Prüfung vor Ort sei eine sog. „Leichenbesichtigung“ gewesen. Die eigentliche Leichenschau, und zwar in Form einer inneren und äußeren Leichenschau, genannt „Sektion“, habe dann im Gerichtsmedizinischen Institut stattgefunden. Mit der Zeugin Dr. Kl. wurde der Leichenschauschein des F. U. in Augenschein genommen. Hierzu befragt bekundete die Zeugin Dr. Kl., dass mit der Uhrzeitangabe „03:10 Uhr“ in dem Leichenschauschein der Zeitpunkt gemeint sei, zu dem die Rechtsmediziner Dr. Ke. und B. die Tatorte am Kurt-Schumacher-Platz abgegangen seien, um sich einen ersten Überblick zu verschaffen. Der Zeitpunkt des Todes könne durch sie vor Ort nicht festgestellt werden. Sie würden nur feststellen, „dass der Mensch tot“ sei. Aus diesem Grund sei häufig im Leichenschauscheinformular in der Rubrik „Zeitpunkt des Todes“ durch die ausfüllende Person das Wort „Feststellung“ geschrieben worden. In einem neuen Formular sei das mittlerweile geändert worden. Bei der Ort- und Zeitangabe „Frankfurt, 22.02.20, 9:35 Uhr“ handele es sich um den Tag der Sektion im Gerichtsmedizinischen Institut in Frankfurt. Der Leichenschauschein werde erst nach der Sektion ausgefüllt, da erst zu diesem Zeitpunkt die Todesursache feststehe. Der Leichenschauschein könne erst dann dementsprechend ausgefüllt werden.

9.)
Ausweislich eines Gesprächsvermerkes des Bundeskriminalamtes vom 15.09.2021 habe der mit der Sektion des F. U. betraute Rechtsmediziner Dr. Ke. am 30.06.2020 gegenüber KHK L. auf telefonische Nachfrage ausgeführt, dass bei F. U. aufgrund der schweren Schussverletzungen nach weniger als einer Minute der Tod eingetreten sei. Im Rahmen der hiesigen Vorermittlungen wurde der Zeuge Dr. Ke. am 27.09.2021 zunächst vernommen und im Anschluss am 30.09.2021 ergänzend telefonisch befragt. Der Zeuge Dr. Ke. gab an, dass Herr U. eine Durchschussverletzung aufgewiesen habe. Neben einem rinnenartigen Defekt der Leber sei die Körperschlagader bis auf einen etwa einen Zentimeter breiten Steg vollständig eröffnet gewesen. Aufgrund dessen sei Herr U. innerlich verblutet. Vorliegend hätte eine Reanimation keinerlei Aussicht auf Erfolg gehabt. Anhand der Einblutungsmenge in beide Brusthöhlen und die Bauchhöhle sei hier eine annäherungsweise Rückrechnung des Zeitpunktes des Herzstillstandes möglich. Hiervon ausgehend habe ab etwa einer Minute nach der Schussverletzung keine relevante Herzschlagaktion mehr stattgefunden.

10.)
Im Rahmen der Ermittlungen zu dem Anschlagsgeschehen am 19.02.2020 wurde am 20.02.2020 der Zeuge S. B. vernommen. Der Zeuge S. B. gab an, dass er sich zum Zeitpunkt der Schussabgaben des Attentäters im Kiosk 24/7 aufgehalten habe. Er habe hinter der Theke Deckung vor diesem gesucht. Da habe er, der Zeuge S. B., gesehen, wie F. U. hinter die Theke „rein gekrabbelt“ sei. Dieser habe auf türkisch zweimal „ich brenne“ gesagt. Dann sei Blut aus seinem Mund gekommen und das sei sein letzter Atemzug gewesen. Er, der Zeuge S. B., habe nochmal zehn Minuten gewartet und sei erst dann aus seiner Deckung gegangen.

11.)
Im Ergebnis bleibt damit festzuhalten, dass F. U. nach den Feststellungen des Sektionsarztes PD Dr. Ke. des Instituts für Rechtsmedizin binnen etwa einer Minute nach der Schussabgabe, also um ca. 22:01 Uhr, seinen Verletzungen erlegen ist. Reanimationsversuche hätten keinerlei Aussicht auf Erfolg gehabt. Bereits aus diesem Grund ist der Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung nicht erfüllt. Bei der in der standesamtlichen Sterbeurkunde des F. U. aufgeführten Todeszeit (03:10 Uhr) handelt es sich nicht um den Zeitpunkt des tatsächlichen Todeseintritts, sondern lediglich um den Zeitpunkt des Beginns der Tatortbesichtigung durch die eingesetzten Rechtsmediziner. Die Vorermittlungen haben allerdings auch im Übrigen keine Anhaltspunkte für ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten der vor Ort eingesetzten Polizeibeamten ergeben. Die Polizei traf um 22:08 Uhr, der Rettungsdienst um 22:13 Uhr vor Ort ein. Bis zum Eintreffen der Rettungskräfte wurden durch Polizeibeamte mehrere Verletzte erstversorgt. Bei Eintreffen der Rettungskräfte sind diese durch die Polizei darauf hingewiesen worden, dass sich in der Arena Bar und im Kiosk 24/7 Personen mit Verletzungen befänden. Durch den Rettungsdienst wurde daraufhin eine Sichtung der Arena Bar und des Kiosk 24/7 durchgeführt. Im Rahmen einer ersten Sichtung des Kiosk 24/7 um 22:16 Uhr wurde durch den Rettungsdienst der hinter der Verkaufstheke liegende Leichnam des F. U. zunächst übersehen. Als ein Polizeibeamter unmittelbar anschließend ab 22:18 Uhr hinter der Theke einen Sichtschutz gegen Einblicke von außen errichtete, hatte dieser keinerlei Veranlassung zu der Annahme, dass der Rettungsdienst den dort befindlichen Leichnam des F. U. übersehen haben könnte. Aus diesem Grund bestand für diesen auch kein Anlass, die Vitalfunktionen des F. U. zu überprüfen. Um 22:24 Uhr wurde durch einen Notarzt festgestellt, dass F. U. weder Puls noch Atmung aufwies.

"Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens kam damit nach dem Ergebnis der Vorermittlungen insgesamt nicht in Betracht", so Oberstaatsanwalt Dominik Mies abschließend.


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