Erinnerung an zwei besondere Frauenleben

Hanau
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Zum Jahresausklang erinnern Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) und die Hanauer Frauenbeauftragte Cornelia Gasche an zwei besondere Persönlichkeiten, die im zu Ende gehenden Jahr 2021 beide ihren 125. Geburtstag begangen hätten.



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Die Hessin Elisabeth Selbert, eine der Mütter des Grundgesetzes und Verfechterin des Artikels 3 des Grundgesetzes, "Männer und Frauen sind gleichberechtigt", sowie die Hanauer Hebamme Emma Knebel.  "Auf den ersten Blick", so die Hanauer Frauenbeauftragte Cornelia Gasche, "haben die beiden Frauen nichts wirklich miteinander zu tun. Doch nicht nur das gemeinsame Geburtsjahr lässt Verbindungen zu", ist Gasche überzeugt. "Es waren zwei besonders starke Frauen, die selbstbewusst ihren Weg gingen und sich auch beruflich und gesellschaftlich – jede in ihrem sehr persönlichen Wirkungskreis - etablierten. Und dies in einer Zeit, die den Menschen – und vor allem Frauen - alles abverlangte. Jugendzeit im Ersten Weltkrieg, berufliche und persönliche Entwicklung als Frauen während des Zweiten Weltkrieges. Leben und Überleben im Krieg und in den zerstörten Städten Kassel und Hanau. Wiederaufbau und Nachkriegszeit. Ein Leben voller Zielstrebigkeit und Energie trotz aller Hürden und Hindernisse", so der Oberbürgermeister. 

Emma Knebel wurde am 15. Juli 1896 bei Koblenz geboren, sie kam nach dem Ersten Weltkrieg mit ihrem Mann – einem Deutsch-Amerikaner - nach Hanau. Das Paar hatte drei Kinder. Schwiegermutter Charlotte praktizierte in Hanau seit 1903 als Geburtshelferin. Fasziniert von dem Beruf, begann Emma Knebel 1927 mit der Ausbildung in der "Hebammenkunst und Säuglingspflege". 1929 übernahm sie die Praxis ihrer Schwiegermutter. 1961 wechselte sie in eine Festanstellung an das Stadtkrankenhaus Hanau und war zudem für das St. Vinzenz-Krankenhaus tätig. Mit 73 Jahren ging sie in den Ruhestand. Mehr als 40 Jahre wirkte Emma Knebel als Hebamme. Besonders in den Notzeiten der Kriegs- und Nachkriegsjahre, von denen Hanau in besonderer Weise betroffen war, half sie vielen Frauen und Kindern. Für sie gab es kein arm und kein reich. Alle gebärenden und hilfesuchenden Frauen waren bei "Mutter Knebel", die ihren Beruf als Berufung ausübte, in guten Händen. In ihrem Berufsleben verhalf Emma Knebel mehr als 9.500 Kinder auf die Welt. Am 4. Dezember 1988 verstarb Emma-Knebel und wurde auf dem Hanauer Hauptfriedhof beigesetzt.

Elisabeth Selbert wurde am 22. September 1896 in Kassel, als zweite von vier Töchtern einer christlich orientierten Familie geboren. Dort lebte sie auch bis zu ihrem Tod am 9. Juni 1986.  Elisabeth Selbert wäre gerne Lehrerin geworden, doch das Mädchengymnasium war für die Familie nicht finanzierbar, ebenso wenig ein Studium. Als junge Frau war sie in einer Export-Import-Firma tätig und nachdem sie 1914 ihre Stelle verlor, arbeitete sie als Postbeamtenanwärterin im Telegrafendienst der Reichspost.  Diese Stelle hatte sie durch die kriegsbedingten Ausfälle der männlichen Arbeitskräfte bekommen. Dort lernte sie ihren späteren Mann, Adam Selbert, kennen. Adam Selbert förderte die politische interessierte Elisabeth. Nach ihrer Heirat 1920 bekam das Ehepaar zwei Söhne. Trotz der Doppelbelastung übte Selbert weiter ihre Arbeit im Telegrafenamt aus. Gleichzeitig bereitete sie sich im Selbststudium auf das Abitur vor, das sie 1925 in Kassel als Externe nachholte. Anschließend nahm sie das Studium der Rechts- und Staatswissenschaften auf. In der Universität Göttingen gab es damals unter 300 Studierenden nur 5 Frauen. 1930 promovierte Elisabeth Selbert zum Thema "Ehezerrüttung als Scheidungsgrund".  Bei der historisch so bedeutenden Reichstagswahl im März 1933 kandidierte Elisabeth Selbert als Sozialdemokratin erstmals zum Reichstag, für den sie jedoch kein Mandat erhielt. Bereits zu Beginn der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verlor ihr Mann seine Arbeit und wurde im KZ Breitenau in sogenannte "Schutzhaft" genommen. Trotz schwerster Repressalien konnte Selbert 1934 doch noch die Rechtsanwaltszulassung erreichen und eröffnete 1934 eine anwaltliche Praxis. Da ihr Mann durch politische Verfolgung bis 1945 erwerbslos blieb, bestritt sie den Unterhalt der Familie. Nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Deutschlands, wurde Elisabeth Selbert für die Sozialdemokratie in den Parlamentarischen Rat gewählt.

Mit Unterstützung vieler Frauenorganisationen – auch aus Hanau -  gelang es ihr, trotz großer Widerstände, den Artikel 3 des Grundgesetzes durchzusetzen: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt". Emma Knebel und Elisabeth Selbert, zwei Frauen, die sich nie kennen gelernt haben und deren Leben auch völlig unterschiedlich verlief. Beiden Frauen war jedoch zu eigen, dass sie in vielem ihrer Zeit voraus waren, sich nicht durch die Zeit aufhalten ließen. Sie haben ihre Möglichkeiten trotz aller Widrigkeiten ergriffen, sie erarbeiteten sich den Respekt und den Rückhalt in ihren Familien und wirkten in der Folge tief in das gesellschaftliche Gemeinwesen hinein. Jede an ihrem Ort und mit der eigenen Berufung, die sie für sich gefunden hatten.

Elisabeth Selbert und Emma Knebel wurde beide im Jahr 1886 geboren und wären in diesem Jahr 125 Jahre alt geworden. "Weibliche Vorbilder aber auch Wegbereiterinnen nachfolgender Generationen von Frauen, an die wir auch in unserer Stadt immer wieder erinnern wollen," so Oberbürgermeister Claus Kaminsky und die kommunale Frauenbeauftragte Cornelia Gasche. An Emma Knebel erinnert der "Emma-Knebel-Platz" auf dem Gelände des Klinikums Hanau, der Parkplätze für Gebärende integriert. Der Zonta-Club stiftete 2014 eine entsprechende Gedenktafel. Nach Elisabeth Selbert wurde 2009 der Hanauer Stadtverordnetensitzungssaal im Neustädter Rathaus benannt, das derzeit von Grund auf restauriert und neu eingerichtet wird.

Fotos: Medienzentrum Hanau / Bildarchiv - SPD-Landesverband Hessen


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