Anschlag von Hanau: Polizei weist neuerliche Kritik zurück

Hanau
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Nach der Veröffentlichung einer Studie der privaten Rechercheagentur Forensic Architecture zum rassistisch motivierten Attentat in Hanau hat die Polizei die neuerliche Kritik an ihrer Arbeit in der Nacht vom 19. auf den 20. Februar 2020 zurückgewiesen. Auch die CDU-Fraktion im Hessischen Landtag sieht kein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten, will allerdings Fragen zur Einbindung des Polizeihubschraubers im Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtages nachgehen, der sich mit dem Anschlag in Hanau befasst.



Forensic Architecture hatte unter anderem dargestellt, dass der Täter sein Wohnhaus in der Tatnacht hätte verlassen können, weil es von der Polizei nicht ausreichend umstellt worden sei. Auch bei der Kommunikation mit dem Polizeihubschrauber seien Defizite aufgetreten. Rechtsterrorist Tobias R. hatte am Abend des 19. Februars 2020 in Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven ermordet und danach mutmaßlich seine Mutter und sich selbst getötet.

Das Polizeipräsidium Südosthessen äußert sich mit in einer Stellungnahmen zu den neuerlichen Vorwürfen: "Durch Zeugenaussagen und Überwachungsvideos konnten durch die Erstkräfte an den ersten beiden Tatorten gegen ca. 22:20 Uhr Hinweise auf das genutzte Täterfahrzeug gewonnen werden. Nach Verifizierung dieser Hinweise wurde das Fahrzeug im Rahmen der Ermittlungs- und Fahndungsmaßnahmen gegen 22:50 Uhr durch Zivilkräfte in der Nähe der Halteranschrift in Hanau festgestellt und überwacht. Durch die Einsatzkräfte wurde das Wohnobjekt bis zum Eintreffen der Spezialeinheiten gesichert, welche in der Folge den Zugriff durchführten. Nach Feststellung des Täterfahrzeugs wurden in der Nähe mehrere verdächtige Personen festgestellt. Wie sich später herausstellte, waren dies mehrere Angehörige einer Rockergruppierung, die auf diesen zivilen Polizeieinsatz aufmerksam geworden waren. Die Gruppierung ging fälschlicher Weise davon aus, dass sich der Einsatz gegen sie richtete und behinderte die polizeilichen Einsatzmaßnahmen. Aufgrund der unübersichtlichen Situation vor Ort wurden insgesamt sechs Rocker vorläufig festgenommen. Die Einsatzmaßnahme gegen die Rocker, inklusive deren Ingewahrsamnahme führte zur zeitlichen Bindung von zahlreichen Einsatzkräften, wobei sich abschließend kein Hinweis auf eine Tatbeteiligung ergab."

Zunächst sei  durch die Polizeiführung eine kommunikative Lösung der Einsatzlage am Wohnort des Tatverdächtigen angestrebt worden: "Parallel wurde eine Zugriffslösung durch das Spezialeinsatzkommando (SEK) vorbereitet. Letztendlich erfolgte nach intensiven Aufklärungsmaßnahmen der Spezialeinheiten vor Ort, mehreren erfolglosen Kontaktaufnahmen der Verhandlungsgruppe in das Wohnhaus sowie unter Berücksichtigung verschiedener denkbarer Täterszenarien (z. B. „Suicide by Cop“, Schusswechsel mit dem Täter, täterseitige Präparation des Hauses mit Sprengfallen) gegen 3:03 Uhr der Zugriff auf das Wohnhaus durch das Spezialeinsatzkommando. Das Vorgehen im Haus wurde unter größtmöglicher Sicherheit kontrolliert durchgeführt. Die Örtlichkeit war entsprechend von außen gesichert. Ein schnelles und somit stark risikobehaftetes Vorgehen war nach Bewertung der Gesamtumstände nicht geboten. Hinsichtlich des Zeitraums bis zum Zugriff sowie der weiteren Maßnahmen im Umfeld des Wohnhauses ist festzuhalten, dass für jede Einsatzlage eine Beurteilung der Lage im konkreten Einzelfall erfolgt und die polizeilichen Maßnahmen lageabhängig und im Einvernehmen zwischen den eingesetzten Spezialeinheiten und der Polizeiführung getroffen werden. Ein Quervergleich zu anderen Einsatzlagen ist daher nicht angezeigt. Jede Einsatzlage muss individuell bewertet und mit den erforderlichen Einsatzkräften- sowie mitteln einer Lagelösung zugeführt werden. Grundsätzlich gilt, dass in solch komplexen Einsatzlagen sich vorerst alle polizeilichen Maßnahmen der Abwehr von einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben und Gesundheit der Bevölkerung aber auch der eingesetzten Kräfte widmen und erst anschließend der Beweissicherung für das Strafverfahren (Gefahrenabwehr vor Strafverfolgung)."

Darüber hinaus sei in der Nacht vom 19. auf den 20. Februar 2020 ein Polizeihubschrauber für mehr als 2,5 Stunden in die polizeilichen Einsatzmaßnahmen eingebunden worden: "Dieser ist ein wertvolles und effektives Einsatzmittel, da hiermit auch größere Bereiche aufgeklärt und im Bedarfsfall Maßnahmen am Boden koordiniert werden können. Aus diesem Grund wurde der Polizeihubschrauber zur Aufklärung und unterstützend bei der Abarbeitung von Hinweisen eingesetzt. Diese bezogen sich nicht nur das Umfeld der Wohnung des Tatverdächtigen, sondern auch auf andere Örtlichkeiten im Stadtgebiet sowie angrenzende Ortschaften (u. a. Hinweise auf weitere Schussabgaben, die sich nicht bestätigten, jedoch durch Polizeikräfte überprüft wurden). Abschließend ist festzuhalten, dass die hessische Polizei keine Aussagen über Schussabgaben im Wohnobjekt des Tatverdächtigen treffen kann, da hier das inzwischen abgeschlossene Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts berührt wird."

Zu der Studie der privaten Rechercheagentur Forensic Architecture zum rassistisch motivierten Attentat in Hanau sagte der Obmann der CDU-Landtagsfraktion im Hanau Untersuchungsausschuss, Jörg Michael Müller: „Der Einsatz der Polizei ist nicht schiefgelaufen, wie von Forensic Architecture behauptet. Die Staatsanwaltschaft hat das Geschehen umfangreich geprüft und bewertet, ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten ist nicht festgestellt worden. So bedauerlich diese schreckliche Tat ist und sich in der Rückschau ein scheinbar klares Bild des rassistisch motivierten und psychisch schwer gestörten Attentäters ergibt, die Tat hätte nicht verhindert werden können. Die Polizei war innerhalb weniger Minuten am ersten Tatort, hat frühzeitig reagiert und eine Vielzahl von Kräften nachgezogen. Das SEK konnte aus polizeitaktischen Erwägungen nicht früher zugreifen, sondern musste abklären, ob beispielsweise Sprengfallen vom Täter angebracht wurden. Die Rechercheagentur hat in ihrem Beitrag die konkreten Gegebenheiten völlig außer Acht gelassen. Die Frage des Notausgangs in der Arena-Bar muss und wird mit den hierfür Verantwortlichen im Untersuchungsausschuss zu besprechen sein. Dies ist in erster Line der Betreiber der Bar, in zweiter Linie die Verantwortlichen der Stadt Hanau. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Landespolizei die Ordnungsbehörden explizit auf eine verschlossene Notausgangstür hingewiesen hat. Warum auf diesen Hinweis offenkundig durch die Stadt Hanau nicht richtig reagiert wurde, wird durch Einvernahme des letztlich verantwortlichen Oberbürgermeisters Claus Kaminsky (SPD) zu klären sein. Ein Skandal ist, dass der Generalbundesanwalt dem Untersuchungsausschuss Hanau bis heute, trotz mehrfacher Aufforderung, nicht alle Akten und Unterlagen zur Verfügung gestellt hat – auch nicht die Aufzeichnung aus dem Polizeihubschrauber. Es kann nicht sein, dass im Rahmen eines Kunstprojekts einer von den Angehörigen der Opfer beauftragten Rechercheagentur mehr Unterlagen zur Verfügung stehen, als dem Parlament. Hier muss der Untersuchungsausschuss gegenüber dem Generalbundesanwalt seine Rechte durchsetzen.“

 


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