Rund um den Hauptbahnhof: Hanau plant komplett neues Stadtquartier

Hanau
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Der Wohn- und Wirtschaftsstandort Hanau soll sich weiterhin positiv entwickeln. Dieses gemeinsame Ziel haben die Stadt sowie die beiden Unternehmen Gerling, Holz & Co. Handels GmbH (GHC) und Heraeus formuliert. Um dies zu erreichen, wollen die drei Partner einen ganz neuen Weg beschreiten: Die GHC hat sich bereit erklärt, durch geänderte Arbeitsabläufe, die nach Emissionsschutzrecht geltenden Achtungsabstände zu reduzieren.



Die Hanauer Firma Heraeus wird dann die Stadt Hanau unterstützen, gemeinsam das Areal nördlich des Hauptbahnhofs zu entwickeln. So soll ein attraktives neues Stadtquartier mit Wohnungen, Büros und Gastronomie möglich gemacht werden.

"Derzeit ist eine solche Gebietsentwicklung wegen der festgesetzten Sicherheitsabstände nicht in dem von uns gewünschten Umfang möglich", erklärt Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD). Die nach Emissionsschutzrecht geforderten Achtungsabstände definieren unter anderem, wie weit Wohnbebauung von solchen Industriestandorten entfernt sein muss, bei deren Produktion in Störfällen gefährliche Stoffe austreten könnten. Für die Stadtentwicklung stellen die festgelegten Abstände regelmäßig eine große Hürde dar, insbesondere in Ballungsräumen. Denn in der Regel sind Industriebetriebe lange vor der Festsetzung der gesetzlichen Regelungen an ihrem Standort gebaut worden. So auch in Hanau: Heraeus wurde bereits 1851 in der Brüder-Grimm-Stadt gegründet, der GHC-Standort entstand 1945 – damals weitab vom Stadtgebiet.

Für Städte und Unternehmen erwächst hieraus gleichermaßen eine Unsicherheit. Die Kommunen haben mitunter nicht die Möglichkeit, die Flächen innerhalb solcher Sicherheitszonen entsprechend ihrer Wünsche beplanen zu können. Vor diesem Hintergrund planen die Entscheider in Hanau, einen neuen Weg zu gehen, der letztlich für alle Seiten von Vorteil ist. Ein wichtiger Baustein ist dabei, dass GHC Prozesse und Lagerungen am Standort Hanau neu organisiert und ganz- oder teilweise verlegt. Der Gas- und Kältemittelspezialist lagert vor Ort eine breite Palette von Gasen, Kältemitteln und Chemikalien, betreibt Tanklager und Füllanlagen. "Eine entsprechende Umstrukturierung der Prozesse würde dafür sorgen, dass in der Folge nur noch ein Sicherheitsabstand von zirka 400 Metern zum Betriebsgelände einzuhalten wäre", erläutert Kaminsky. Auch Heraeus Quarzglas zählt aktuell ebenfalls noch als Störfallbetrieb, wird die Produktion aber an dem Standort "Quarzstrasse" in 2023 einstellen.

Diese beiden Veränderungen würden die Stadt Hanau in die Lage versetzen, das rund 30 Hektar große Areal nördlich des Hauptbahnhofs zu einem modernen zentralen Stadtentrée zu entwickeln. Vorgesehen sind in dem urbanen Quartier neuer Wohnraum, Bürogebäude und gastronomische Nutzungen, die dank der direkten ÖPNV-Anbindung ins gesamte Rhein-Main-Gebiet unter anderem für Berufspendler aus und nach Hanau interessant sind. "Für die Stadt Hanau ist es äußerst wichtig, an dieser Stelle eine partnerschaftliche Lösung zu finden", macht Kaminsky deutlich. "Die Stadt Hanau bekennt sich zu seinen Industriestandorten".

"Wir stehen seit einiger Zeit mit der Stadt Hanau in einem sehr konstruktiven Dialog und können uns vorstellen, durch Anpassungen und Verlagerungen unseren Hanauer Standort so zu organisieren, dass sich die angemessenen Abstände hier signifikant reduzieren, an anderen Standorten aber nicht erhöhen", bestätigt Frederic Mazan, Niederlassungsleiter von GHC. Im Gegenzug sei die Stadt dazu bereit, zur Sicherung des Standorts beizutragen und geeignete planungsrechtliche Maßnahmen zu ergreifen. Das Regierungspräsidium hat bereits signalisiert, die angestrebten Veränderungen positiv zu begleiten. Damit könnte am Ende auch das Land Hessen von diesem Pilotprojekt profitieren, stellt es doch einen möglichen, konstruktiven Umgang mit den Herausforderungen solcher nach Gesetz geforderten Achtungsabstände dar, der andernorts für Nachahmung sorgen könnte.

Einen ersten Schritt in Richtung Umsetzung stellt ein Magistratsbeschluss zur Erstellung einer Absichtserklärung dar. Diese beschreibt auf Basis des aktuellen Gutachtens die Maßnahmen zur Verlagerung von Stoffen und Prozessen. Zugleich wird die Stadt sich verpflichten, angefallene Planungsaufwendungen zu erstatten. Der Beschluss, eine solche Absichtserklärung auf den Weg zu bringen, wird zunächst am 13. September im Ortsbeirat Innenstadt beraten und anschließend der Stadtverordnetenversammlung in ihrer Sitzung am 19. September zur Abstimmung vorgelegt. Innerhalb der Absichtserklärung werden auch mögliche Kosten sowie gegenseitige Ansprüche definiert. So ist die angedachte Verlagerung für GHC mit erheblichem Aufwand verbunden, entsprechend erwartet das Unternehmen eine finanzielle Entschädigung. "Für diese Kostenübernahme müssen aus unserer Sicht zwei Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen muss die angestrebte Reduzierung der Sicherheitsabstände mit dem Regierungspräsidium Darmstadt dauerhaft öffentlich-rechtlich gesichert werden. Zum anderen ist es unverzichtbar, dass auf dieser Grundlage Bebauungspläne zur Ausweisung von Gebieten mit Wohnnutzung störfallrechtlich unbedenklich und rechtsverbindlich aufgestellt werden können", sagt der OB.

Der ins Auge gefasste Höchstbetrag für alle Aufwände rund um die Neuorganisation und Verlagerung kann bis zu 14 Millionen Euro betragen. Die Refinanzierung der Kosten soll über städtebauliche Vereinbarungen mit den Vorhabenträgern erfolgen, die von der möglichen Baugebietsentwicklung wirtschaftlich profitieren. Insbesondere wird bereits begleitend eine Beteiligung an den Kosten durch die Firma Heraeus verhandelt. "Wir unterstützen die Vereinbarung von Stadt und GHC. Auf unserem Ende 2023 freiwerdenden Produktionsstandort, könnten durch die angestrebten Veränderungen attraktive Wohnungen, Büros, Gastronomie und andere publikumsintensive Nutzungen entstehen. Hanau bekäme so ein neues, lebendiges Quartier direkt am Hauptbahnhof", bestätigt Jan Rinnert von Heraeus. Stadtentwickler Martin Bieberle ergänzt: "Zum jetzigen Zeitpunkt ist das Areal rund um den Hanauer Hauptbahnhof noch nicht so gut integriert, wie es für eine Großstadt angemessen wäre. Durch das geplante Bauprojekt können wir das Quartier weiter entwickeln und eine bessere Erreichbarkeit schaffen – etwa über neue Geh- oder Radwege. Für unsere Stadt und insbesondere das Gebiet rund um den Hauptbahnhof wäre dies eine absolute Bereicherung."


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