Hanau: Offener Brief von Serpil Unvar an Oberbürgermeister Kaminsky

Hanau
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Mit einem offenen Brief hat sich Serpil Unvar, die Mutter des bei dem rassistischen Attentat getöteten Ferhat Unvar, an Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) gewandt. Nachfolgend der Text im Wortlaut.



"Lieber Oberbürgermeister Claus Kaminsky, ich bitte Dich, diesen Brief in meinem Namen und dem die Bildungsinitiative zu veröffentlichen. Der 19. Februar 2020 war mit großem Abstand der schlimmste Tag für mich und meine Familie. Für eine Mutter gibt es nichts Schlimmeres, als ein Kind auf diese Art und Weise zu verlieren. Jeder Jahrestag lässt mich den 19.02.2020 erneut durchleben. Er ist bereits Wochen im Voraus eine enorme emotionale Belastung für mich. In diesem Jahr war es besonders schwer, da aufgrund der Belästigungen des Tätervaters die Angst um meine Kinder mein täglicher Begleiter ist.

Eigentlich hatte ich geplant, am 19.02 gar nicht in Hanau zu sein. Kurzfristig traf ich die Entscheidung, dennoch eine Rede zu halten. Auch weil ich beobachtet habe, wie sich der Diskurs zur Tat und zu den Getöteten in den letzten drei Jahren verändert hat. Wie ich bereits auf der Bühne gesagt habe, ist es mir nicht leicht gefallen zu sprechen. Ich habe dies aus der Verantwortung meiner Bildungsinitiative Ferhat Unvar, meinen Mitarbeitenden und Jugendlichen gegenüber getan. Ich wollte ihnen mit meinen Worten Kraft geben. Du weißt, ich bin keine Politikerin und die Bildungsinitiative ist keine politische Organisation. Leider habe ich aus der Emotion heraus ein paar unglückliche Formulierungen gewählt, die ich gerne klarstellen möchte.

Deine Worte waren, dass die Hanauer Schulen zum Jahrestag aktiv werden sollten. Dies nahmen wir zum Anlass, zeitnah zum Jahrestag Infostände an Hanauer Schulen anzubieten, um über den 19.02.2020 und unsere Arbeit zu sprechen. Die meisten Schulen haben das wohlwollend angenommen. Als einzige Schule in Hanau schlug die Karl-Rehbein-Schule das Angebot aus. Ich bin mir bewusst, dass jede Schule selbst entscheiden kann, wie sie mit diesem Jahrestag umgehen möchte. Was mich wütend gemacht hat, war zu sehen, dass sie nicht bereit waren, in den Schulen etwas anzubieten, aber dennoch bei der Gedenkveranstaltung eine Rede auf der Bühne halten wollte. Aus diesem Grund habe ich in meiner Rede die Karl-Rehbein-Schule kritisiert. Das sollte nicht heißen, dass die Karl-Rehbein-Schule nichts im Kampf gegen Rassismus unternimmt, darüber kann ich mir kein Urteil erlauben. Dennoch wünsche ich mir von Herzen, dass sie uns als unser Nachbar und eine sehr wichtige Schule der Stadt anhört. Ich denke, wir sollten aufeinander zugehen und in einem gemeinsamen Gespräch die Missverständnisse ausräumen. Wir als Bildungsinitiative, ich als Serpil Unvar bin dazu bereit.

Es wurde mir zugetragen, dass viele der Anwesenden auf dem Marktplatz enttäuscht von meiner Rede waren. Ich kann nicht bestreiten, einen Finger in die Wunde gelegt zu haben. Dennoch wollte ich niemanden beleidigen oder verletzen. Schon gar nicht diejenigen, die mich seit drei Jahren unterstützen. Ich weiß, dass sind viele Menschen in Hanau. Menschen, die mir Kraft gegeben haben. Ich bin überzeugt, dass viele Menschen in Hanau und Deutschland gute Menschen sind, mit einem großen Herzen, die bereit sind, eine gerechtere Welt für alle zu schaffen. Ich betone noch einmal, ich wollte niemanden verletzen.

Meine Worte richte ich auch an dich, lieber Claus Kaminsky. Ich wollte dich und deine Mitarbeiter*innen nicht angreifen. Ihr wart immer für mich da und habt mich unterstützt. Manchmal, weil ich ungeduldig bin, habe ich gehofft, dass Dinge schneller gehen. Das habe ich dir auch oft in persönlichen Gesprächen gesagt. Die Diskussion um ein Mahnmal auf dem Marktplatz ist eine emotionale Debatte. Auch ich habe am 19.02. den Marktplatz als Standort gefordert. Dass ich als Mutter den zentralsten Platz in Hanau als Andenken wünsche, halte ich für absolut nachvollziehbar. Aber natürlich gehören zum Leben Kompromisse. Ich bin kompromissbereit und wünsche mir weiterhin einen offenen Dialog.

Weiter wird oft von ‚den Opferfamilien‘ gesprochen. Von dem, was ‚wir‘ wollen, was ‚wir‘ fordern, was ‚wir‘ gesagt haben. Wir sind jedoch neun unterschiedliche Familien, mit unterschiedlichen Wünschen, Sorgen und Herausforderungen. Jeder von uns verarbeitet den Verlust seiner Kinder anders. Ich bitte darum, dass wir auch als unterschiedliche Familien wahrgenommen und behandelt werden. Mit der Bildungsarbeit, die die Bildungsinitiative leistet, möchte ich die Gesellschaft aktiv mitgestalten. Eine Tat, wie am 19.02.2020 darf nie wieder geschehen. Keine Familie sollte je durchmachen, was ich als Mutter in den letzten drei Jahren erlebt habe und für den Rest meines Lebens erleben und fühlen muss. Ich bin ein emotionaler Mensch und musste viel in meinem Leben kämpfen. Das werde ich auch weiterhin tun. Dies gilt auch für alle Schulen und Menschen in Hanau. Ich möchte tatsächlich etwas verändern und unsere Gesellschaft zu einem besseren Miteinander gestalten. Das bin ich meinem Sohn schuldig. Allein werde ich es aber nicht schaffen. Ich bin jedoch voller Hoffnung, dass du mich auch weiterhin unterstützt."


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