Journalistin, Autorin und Frauenrechtlerin: Trauer um Ilse Werder

Copyright: Medienzentrum - Bildarchiv Hanau / Winfried Eberhardt

Hanau
Typographie
  • Smaller Small Medium Big Bigger
  • Default Helvetica Segoe Georgia Times

Ilse Werder, Journalistin, Autorin und Frauenrechtlerin, ist am Sonntag (26. März 2023) im Alter von 97 Jahren verstorben. Der Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) und Stadtverordnetenvorsteherin Beate Funck (SPD) geben – auch im Namen der städtischen Gremien – ihrer Trauer über den Verlust einer „herausragenden Persönlichkeit“ Ausdruck, „die in unserer Gesellschaft viel bewirkt und eindrucksvolle Spuren hinterlassen hat“, wie die beiden betonen.



"Ilse Werder zeichnete sich aus durch ihr immenses und breit gefächertes berufliches wie ehrenamtliches Engagement für unsere Gesellschaft insgesamt und für Hanau im Besonderen", betonen Kaminsky und Funck. Politisch und kulturell habe sich die Journalistin der Frankfurter Rundschau über viele Jahrzehnte als treibende Kraft gezeigt und viel bewegt. Auch mit der Aufarbeitung der Historie – mit dem besonderen Blick auf die Rolle und Rechte der Frauen – habe sie großartige Arbeit geleistet. Zudem sei Werder in der Region über Jahre das herausragende Gesicht der Frauenbewegung gewesen und habe unter anderem den Verein "Frauen helfen Frauen", das Frauenhaus und die Beratungsstelle "Pro Familia" mitbegründet.

Ilse Werder, Mutter von vier Kindern, war Trägerin des Bundesverdienstkreuzes Erster Klasse, des Landesehrenbriefs, des Kulturpreises und Ehrenbriefs des Main-Kinzig-Kreises und der August-Gaul-Plakette der Stadt Hanau. 2019 überreichte ihr die SPD – "ihre Partei" die Willy-Brandt-Medaille für ihr langjähriges Engagement. "In ihr vereinten sich ein nie nachlassendes Engagement und ein kritischer Geist", heißt es in einer Würdigung des Archivs Frauenleben im Main-Kinzig-Kreis, das Werder 1990 mitbegründete und dessen Ehrenvorsitzende sie seit 2006 war.

Die versierte Autorin veröffentlichte zahlreiche Bücher, unter anderem eine Ortschronik des Hanauer Stadtteils Wolfgang. Nicht nur dieses Buch, in dem sie den Arbeiterinnen der Pulverfabrik quasi ein Denkmal setzte, widmete Werder vor allem Frauen im Arbeitsleben. Die weibliche Perspektive der Geschichte prägt auch ihr Buch über Tabakarbeiterinnen im Main-Kinzig-Kreis sowie die Werke "Frauen in den Gewerkschaften 1945-1997 am Beispiel Hessen und im Main-Kinzig-Kreis" und "Hanau weiblich: Ein Lesebuch". Zudem gehen die Wurzeln des Hanauer Kulturvereins und der Verbraucherberatung auf Werder zurück. Ihre mehr als 70 Jahre währende Mitgliedschaft in der SPD mit einbezogen, kommen Kaminsky und Funck zu dem Schluss: "Ilse Werder hat unserer Demokratie wertvolle Impulse gegeben. Es sind Menschen wie sie, die unsere Gesellschaft prägen und voranbringen. Ihr Tod ist ein großer Verlust für uns alle. Wir werden ihr Andenken in Ehren halten. Wir werden die große kleine Frau nie vergessen."

Werder wurde am 21. Oktober 1925 in Kassel geboren. Ihre Kindheit und Jugend in Kassel waren geprägt durch die Nazizeit. Ihr Bruder fiel im Krieg. Als junge Trümmerfrau fragte sie ab 1945 nach den Ursachen des Faschismus und trat 1951 in die SPD ein und arbeitet viele Jahre in der AsF (Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen) mit, zeitweilig als Vorsitzende. In Kassel startete auch ihre journalistische Laufbahn, die sie später bei der "Frankfurter Rundschau" (FR) fortsetzte. Deren Hanauer Lokalredaktion gründete sie 1967 und prägte die FR-Regionalausgabe Main-Kinzig 20 Jahre lang, bis sie 1986 – mit 61 Jahren – in Rente ging.

1987 zog Werder von Hanau nach Bad Soden-Salmünster um und eröffnete 1991 auf einem mehr als 300 Jahre alten Bauernhof im Ortsteil Katholisch-Willenroth "Werders Kulturscheune". In Bad Soden-Salmünster gründete sie zusammen mit anderen Frauen das Seniorennetzwerk "Gemeinsam – statt einsam" und unterhält dort einige Jahre einen Literaturarbeitskreis. An der Ausstellung "Das Private ist politisch", die Frauenbewegung nach 1968 in Hanau Stadt und Land, arbeitete Ilse Werder mit und verantwortete einen großen Teil der Begleitbroschüre. 1989 präsentiert sie die Ausstellung "100 Jahre Frauenleben rund um das Kinzigtal" mit einem Begleitbuch über die Zeit von 1888 bis 1988. Zudem gründet sie das Archiv "Frauenleben im Main-Kinzig-Kreis", dessen Erstbestand auf 30000 Einzeltiteln basiert, die Ilse Werder in den vergangenen Jahrzehnten zusammengetragen hatte. 2006 kehrte Werder nach Hanau zurück, wo sie seither wieder lebte und wirkte.

Auch Horst Koch-Panzner, Vorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschisten(VVN-BdA) Main-Kinzig, würdigt Ilse Werder: "Am 26. März 2023, starb im Alter von 97 Jahren unser Ehrenmitglied und Gründerin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschen Main-Kinzig. Sie war ihr ganzen Leben eine Antifaschistin. Sie war aktiv im Kampf  für Frauenrechte, Frieden und soziale Gerechtigkeit. Sie war ein Vorbild für viele Gewerkschafter*innen. Als Journalistin und Buchautorin hat sie sich u.a. um die Frauenbewegung und einen kritischen Journalismus verdient gemacht . Bis in hohe Alter war sie aktiv in ihrer VVN-BdA Main-Kinzig. Wir verlieren eine antifaschistische Persönlichkeit. Mit Ilse hat mich/uns eine enge Freundschaft verbunden, sie wird mir/uns sehr fehlen. Unser aufrichtiges Beileid gilt ihren Kindern und Enkelkindern. Wir werden ihr ein ehrendes Andenken bewahren."

Der Main-Kinzig-Kreis äußerte sich ebenfalls in einer Pressemitteilung zum Tod von Ilse Werder: "Feministin, Gewerkschafterin, Journalistin, Autorin, Pazifistin und Kulturschaffende – all diese Begriffe stehen für eine Frau, die sich bis ins hohe Alter hinein für jenes Thema engagiert hat, das sich wie ein leuchtend roter Faden durch ihre Biografie zog: das Leben und die Arbeit von Frauen in unserer Gesellschaft, in unserer Region, sichtbar zu machen und sich gleichzeitig für die Rechte von Frauen einzusetzen. Zum Tod von Ilse Werder würdigt die Kreisspitze um Landrat Thorsten Stolz und Erster Kreisbeigeordneter Susanne Simmler die engagierte Frauenrechtlerin, die ihre letzten Lebensjahre in Hanau verbrachte, wo  sie im Alter von 97 Jahren starb.

„Mit Ilse Werder verliert der Main-Kinzig-Kreis eine beeindruckende Persönlichkeit, die sich mit großer Kraft und meinungsstark für die Rechte von Frauen eingesetzt hat. Sie war in ihrem unermüdlichen Wirken und in ihrer Beharrlichkeit anderen ein großes Vorbild und hat die Frauenbewegung im Main-Kinzig-Kreis stark mitgeprägt. Ohne sie würde es das Archiv Frauenleben im Main-Kinzig-Kreis nicht geben“, erklärt Thorsten Stolz. Ilse Werder hatte das Archiv Frauenleben, das vom Main-Kinzig-Kreis mitgetragen wird, 1990 begründet und war seit 2006 Ehrenvorsitzende. Der Archivbestand enthält weit mehr als 100.000 Zeitungsartikel und mehr als 4000 Bücher, die von Ilse Werder und den Archivmitgliedern im Lauf der Jahrzehnte zusammengetragen wurden. Mit dem Archiv publizierte sie mehrere Bücher, in denen es um Frauen und ihr Wirken geht. „Damit gelang es ihr, regionale Geschichte direkt mit den realen Schicksalen von Frauen aus der Region zu verknüpfen und die damalige Lebensrealität dieser Frauen zu beleuchten“, so Landrat Thorsten Stolz. Ilse Werder trat Zeit ihres Lebens für Emanzipation und Gleichberechtigung ein und war Mitbegründerin des Hanauer Frauenhauses.

„Ilse Werder war einer jener Menschen, denen es leicht fiel, andere für eine Sache und eine Idee zu begeistern, sie entwickelte dabei eine starke Zugkraft. Es war eine Freude, mit dieser humorvollen Frau über gesellschaftspolitische Themen zu sprechen. Das gilt erst recht, da unser gemeinsames Herzensthema immer die Gleichberechtigung von Frauen in der Gesellschaft war und hier noch so vieles zu tun ist. Als langjährige Journalistin war sie bis zuletzt stets sehr gut über das Zeitgeschehen informiert und wusste, dass es beim Thema Gleichberechtigung nur mit klarer, deutlicher Sprache geht“, sagt Susanne Simmler über die 1925 in Kassel geborene Ilse Werder.

Ilse Werder trat – politisiert durch die Erfahrungen in der NS-Zeit und den Krieg, bereits 1951 in die SPD ein. Ihre Schwerpunkte fand sie im Bereich Soziales, der Friedens- und der Frauenpolitik. Sie setzte ihre Ideen und Projekte mit viel Herzblut und großem Sachverstand um. Schließlich wusste die alleinerziehende vierfache Mutter aus eigenem Erleben, wie schwierig die Lebensverhältnisse für Frauen in dieser Zeit waren. Ilse Werder wurde von der SPD mit der höchsten Auszeichnung, der Willy-Brandt-Medaille, für ihr außergewöhnliches Wirken geehrt. Sie war Trägerin des Bundesverdienstkreuzes, erhielt den Landesehrenbrief sowie den Kulturpreis und den Ehrenbrief des Main-Kinzig-Kreises. Die Stadt Hanau verlieh ihr zudem die August-Gaul-Plakette.

Ein Jahr nach ihrem Renteneintritt zog Ilse Werder 1987 von Hanau aufs Land und baute eine 300 Jahre alte, verfallene Hofreite im Bad Soden-Salmünsterer Ortsteil Katholisch-Willenroth zum Kulturtreff „Werders Scheune“ auf. Sie interessierte sich auch im Ruhestand für eine Vielzahl an Themen, initiierte Bauern, Kräuter- und Kunsthandwerkermärkte, organisierte Kabarett- und Theaterveranstaltungen, Konzerte und Lesungen. 2006 kehrte sie nach Hanau zurück, wo sie weiterhin zum Thema Frauen schrieb und Ausstellungen konzipierte. 2013 veröffentlichte sie eine Ortschronik des Stadtteils Wolfgang, in dem sie das Leben von Arbeiterinnen der Pulverfabrik beleuchtete und für die Nachwelt sichtbar machte. 2018 erschien ihr letztes Buch „Neues von gestern – Frisches für morgen“, in dem sie die Hanauer Nachkriegszeit aufarbeitete. Bis zuletzt nahm Ilse Werder mit wachem Verstand am Leben teil."

ilsewerder az

Copyright: Medienzentrum - Bildarchiv Hanau / Winfried Eberhardt


Ihnen ist etwas Interessantes aufgefallen im Main-Kinzig-Kreis? Schreiben Sie uns an info@vorsprung-online.de