Ersatzlose Kita-Schließungen in Hanau: Wer übernimmt die soziale Verantwortung?

Hanau
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Wie im Februar und November 2022 verkündet, schließen im Sommer 2024 sowohl die evangelische Kindertagesstätte Kreuzkirche als auch die katholische Kindertagesstätte Heilig Geist in Hanau, welche nicht einmal 100 m auseinander liegen. "175 Betreuungsplätze fallen ersatzlos weg, obwohl die Stadt Hanau laut eigener Planung in ihrem 'Entwicklungsplan Kindertagesbetreuung 2020/21-2025' davon spricht, dass bis 2025 in diesem Stadtteil 117 zusätzliche Betreuungsplätze geschaffen werden müssen. An den wegfallenden 175 Betreuungsplätzen hängen bis zu 175 arbeitende Elternteile, deren wirtschaftliche Existenz bedroht wird. Doch kein Aufschrei geht durch Hanau", meldet sich der Elternbeirat Lamboy zu Wort.



"Während die Stadt Hanau – neuerlich als dauerhaft 'familienfreundliche Kommune' ausgezeichnet - fleißig für ihre Neubauprojekte wirbt, wird tatenlos zugesehen, wie ohnehin dringend benötigte Betreuungsplätze in bereits bestehenden Kitas wegrationalisiert werden. Begründet werden die Schließungen seitens der Träger durch fehlende Gelder, sowohl aufgrund einbrechender Mitgliederzahlen als auch gekürzter Zuweisungen der Landeskirche (im Fall der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck), Auswirkungen der Pandemie sowie Unterhalts-/Instandhaltungskosten. Nachvollziehbar sind diese Gründe nicht wirklich, denn auf eine mögliche hundertprozentige Übernahme der Betriebskosten durch die Stadt Hanau angesprochen, wurde eine Fortführung der Trägerschaft – ggf. auch in einem anderen Gebäude - durch die evangelischen Stadtkirchengemeinde rigoros abgelehnt. Im Falle der Kita Heilig Geist werden die hohen Kosten des zu aktualisierenden Brandschutzes als Grund angeführt, weshalb die Stadt gemeinsam mit der Katholischen Kirchengemeinde St. Klara und Franziskus keine Lösungen findet, obwohl Letztere 'sinnvoll, nachhaltig und sozial verträglich in die Zukunft gehen' möchte. (Zitat Infobrief vom 12.11.2022). Ergänzend hierzu besitzt, laut Evangelische Kirche in Deutschland, eben diese circa 65.000 Gebäude, wovon 14.000 Betriebsgebäude sind – wozu auch Kindertageseinrichtungen zählen. Während jeder private Immobilienbesitzer Instandhaltungsrücklagen für künftig notwendige Sanierungen seiner Immobilien zurücklegt, muss sich die Kirche hier ernsthaft fragen lassen, weshalb sie nicht in der Lage ist, dem Sanierungsbedarf ihrer Gebäude nachzukommen. In einem Interview, auf die Schließung der kath. Kita Heilig Geist angesprochen, sagte der damalige Bürgermeister Axel Weiss-Thiel (SPD), dass es kosteneffizienter sei, neu zu bauen, anstatt die in die Jahre gekommene Einrichtung aufwändig zu sanieren. Ähnlich äußerte sich auch Astrid Weiermann, Betriebsleitung des Eigenbetriebs Hanau Kindertagesbetreuung, im Gespräch mit Eltern der evangelischen Kindertagesstätte Kreuzkirche zur bevorstehenden Schließung", so der Elternbeirat weiter.

In seiner damaligen Funktion als zuständiger Sozialdezernent der Stadt Hanau habe Axel Weiss-Thiel versichert, dass die Stadt natürlich ihrem gesetzlichen Sicherungsauftrag nachkomme und die 80 Kitaplätze [aus der Kita Kreuzkirche nach Sommer 2024] vorhalten werde: "Heute ist davon jedoch keine Rede mehr: Nach Aussage der Stadt im Frühjahr 2023 liege die Verantwortung zur Sicherung der Betreuungsplätze ausschließlich bei den kirchlichen Trägern. 'Hanau steht für Familien und Kinder ein', nur eben nicht für die, die in kirchlichen Kitas betreut werden – diesem Eindruck kann man sich nicht verwehren. Während die Zuständigkeiten in nicht-öffentlichen Zusammenkünften der Entscheidungsträger debattiert werden, werden Kinder, Eltern und teilweise auch das Personal selbst weitestgehend perspektivlos allein gelassen. Weder Stadt noch die Kirchen sichern kurzfristig die durch die Schließung wegfallenden Betreuungsplätze in Lamboy/Tümpelgarten. Die Lösung der Umverteilung der Kinder auf Kitas in anderen Stadtteilen ist keine wirkliche Lösung: Vorausgesetzt, die Kinder erhalten in einer anderen kirchlichen Einrichtung in der Stadt, je nach Kapazität, einen Betreuungsplatz, so nehmen sie anderen Kindern, die dort auf der Warteliste stehen, ihren Platz. Somit fehlen nicht nur in Lamboy/Tümpelgarten, sondern auch in anderen Stadtteilen Hanaus schlagartig weitere Kita-Plätze. Darüber hinaus werden einige Eltern vor nahezu unüberwindbare Hürden gestellt: Sie müssen ihre Kinder quer durch die Stadt in mehrere Kilometer entfernte Einrichtungen bringen. Nicht alle Eltern sind mobil, bedingt durch ihren Arbeitsplatz, Geschwisterkinder, körperliche Einschränkungen, einen nicht vorhandenen PKW usw. Auch die verpflichtenden Vorlaufkurse können dann aufgrund der Entfernung zwischen Kita und wohnortnaher Grundschule nicht mehr so unproblematisch wahrgenommen werden, obwohl doch in allen Medien und politischen Debatten die Sprache die Schlüsselqualifikation zur erfolgreichen gesellschaftlichen Teilhabe darstellt. Wie kann es sein, dass religiöse Gemeinschaften wie die evangelische und katholische Kirche in Deutschland, die Nächstenliebe und soziale Verantwortung predigen, die Kinder und ihre Eltern so im Stich lassen? In allen öffentlichen Diskussionen und Medienbeiträgen rund um die Themen 'Rassismus, Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit' – vor allem im Hinblick auf das Attentat von Hanau 2020 – wird hervorgehoben, wie wichtig Stätten zur interkulturellen Begegnung seien. Was ist also ein idealerer Ort, um diese Begegnung schon in ganz frühen Lebensjahren zu ermöglichen, als eine Tageseinrichtung für Kinder?"

Die evangelische Kirche in Deutschland habe im Jahr 2020 eine Broschüre mit dem Titel „Kinder in die Mitte! Evangelische Kindertageseinrichtungen: Bildung von Anfang an“ herausgegeben, in der es heiße, dass „es der Kirche nicht gleichgültig sein [kann], welche Lebensbedingungen Kinder in der Gesellschaft vorfinden. Sie würde ihren Auftrag verfehlen, hätte sie nicht immer auch das Wohl aller Kinder im Blick“ (S. 5). Darüber hinaus werde beschrieben, wie wichtig der frühkindliche Bildungsauftrag in den Einrichtungen der Kirche sei, insbesondere für Kinder mit Migrationshintergrund (S. 36): "Gleichzeitig äußerten die Vertreter der evangelischen Stadtkirchengemeinde Hanau uns Eltern gegenüber, dass die Kindertagesbetreuung kein zentraler Aspekt der Kirche sei, sondern nur eine Art Beiwerk, über das wir uns glücklich schätzen könnten. Auch der Landesvorsitzende des Familienbundes der Katholiken in Hessen, Hubert Schulte, äußerte im Zuge der Auswirkungen der Coronapandemie im August 2020, dass insbesondere Kinder aus einkommensschwachen Haushalten dafür prädestiniert seien, durch Schul- und Kitaschließungen unfreiwillig ins soziale Abseits gestellt zu werden und dort womöglich auch zu bleiben. Wenn bereits eine temporäre Schließung solche Folgen haben kann, was bedeutet dann erst der verwehrte Besuch eines Kindergartens?"

Abschließend erklärt der Elternbeirat Lamboy in seiner Pressemitteilung: "Alle Lösungsvorschläge der Elternschaft beider Kitas (etwa ein Waldkindergarten, eine konfessionsübergreifende oder integrative Kita, eine Übernahme durch die Stadt unter der Prämisse des Vorkaufsrechts) durften zwar geäußert werden, wurden jedoch als indiskutabel abgetan – die Entscheidungen wurden stets im Vorfeld hinter verschlossenen Türen getroffen. Ein Austausch mit den Elternbeiräten beider Kitas fand zwar jeweils statt, aber beschränkte sich ausschließlich auf die Weitergabe bereits getroffener Entscheidungen zur Schließung der Kitas und erfolgte im Falle der Kita Heilig Geist sogar lediglich nur auf eindringliches Nachfragen. Dabei ist im Hessischen Kinder- und Jugendhilfegesetz (§27, Absatz 1) klar geregelt, dass die Erziehungsberechtigten der Kinder einer Tageseinrichtung vor Entscheidungen in wesentlichen Angelegenheiten der Bildung, Erziehung und Betreuung zu unterrichten und angemessen zu beteiligen sind. Wir fragen: Wer übernimmt die soziale Verantwortung für Hanaus Kinder, wenn es die Kirchen und die Stadt nicht tun?"


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