Zwei Jahre "Haus des Jugendrechts" in Offenbach

Offenbach
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"Die Jugendkriminalität konnte deutlich reduziert werden: Binnen der letzten Jahre sanken die Straftaten, die durch Jugendliche begangen wurden, um mehr als die Hälfte, die Zahl der jugendlichen Tatverdächtigen hat sich erheblich verringert. Ein schöner Erfolg, der im Wesentlichen auf den umfassenden Betreuungsansatz durch das "Haus des Jugendrechts" zurückzuführen ist", waren sich die Verantwortlichen der Stadt Offenbach, der Staatsanwaltschaft, der Diakonie und der Polizei anlässlich einer Zwischenbilanz nach zwei Jahren "Haus des Jugendrechts" (HdJR) in Offenbach einig.



Zum Hintergrund des HdJR Offenbach

Am 2. Januar 2019 hatte das HdJR Offenbach in der Kaiserstraße seinen Wirkbetrieb als die vierte Einrichtung ihrer Art in Hessen aufgenommen. Seither arbeiten alle am Jugendstrafverfahren beteiligten Institutionen (Polizei, Staatsanwaltschaft, Jugendhilfe im Strafverfahren der Stadt Offenbach und Täter-Opfer-Ausgleich des Diakonischen Werks Darmstadt) als behördenübergreifende Einrichtung "unter einem Dach" zusammen. Zielsetzung ist es, eine weitere Delinquenz junger Menschen und ein Abrutschen in kriminelle Karrieren zu verhindern, um so eine nachhaltige Reduzierung von Jugendkriminalität zu erreichen. Im Sinne des Erziehungsgedankens ist es hierbei erforderlich, dass auf strafrechtlich relevantes Verhalten von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden zeitnah und mit abgestimmten Maßnahmen, welche die individuelle Lebenssituation des jungen Menschen berücksichtigen, reagiert wird. So gelingt es, Jugendkriminalität zu bekämpfen, ohne die Bedürfnisse der oft sehr jungen Opfer und Täter aus dem Blick zu verlieren.

Für junge Täterinnen und Täter im Übergangsstadium zwischen Kindheit und Erwachsenenalter kommt das Jugendstrafrecht zur Anwendung. Es gilt für Jugendliche (14 bis unter 18 Jahre) und auch für Heranwachsende (18 bis 20 Jahre), wenn diese in ihrer Entwicklung Jugendlichen noch gleichstehen oder es sich bei der Tat um eine typische Jugendverfehlung, wie beispielsweise ein Ladendiebstahl, handelt. Kinder (unter 14 Jahre) sind generell schuldunfähig und damit strafrechtlich nicht verantwortlich. Strafrechtlich relevantes Verhalten von Kindern kann jedoch fürsorgerechtliche Konsequenzen und zivilrechtliche Folgen wie Schadensersatzforderungen nach sich ziehen.

Jugendkriminalität wird grundsätzlich als Ausdruck von Reifemängeln verstanden und erzieherische Maßnahmen aus dem Jugendstrafrecht sollen dazu beitragen, weiteres kriminelles Verhalten von Jugendlichen und Heranwachsenden zu verhindern. Dies ist einer der Hauptunterschiede zu dem allgemeinen Strafrecht, das für Erwachsene (Personen ab 21 Jahren) gilt. Ergänzend zur Polizei, der (Jugend-)Staatsanwaltschaft und den Jugendgerichten, spielt daher die Jugendhilfe im Strafverfahren als weitere Institution eine wesentliche Rolle im Jugendstrafverfahren. Die Aufgaben der Behörden und Institutionen im HdJR

"Der Polizei kommen die Aufgaben der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr zu. Alle Ermittlungsverfahren gegen Kinder, Jugendliche und Heranwachsende, die ihren Wohnsitz im Stadtgebiet Offenbach haben, werden im HdJR bearbeitet. Die Bandbreite reicht hierbei von eher einfachen Straftaten, wie dem Ladendiebstahl oder dem sogenannten Schwarzfahren, bis hin zu schweren Delikten, beispielsweise wegen Einbruchs- oder Raubstraftaten", erklärte Polizeipräsident Eberhard Möller. "Hessenweit gilt für junge Menschen unter 21 Jahren das Wohnortprinzip als wesentliches Element der täterorientierten Sachbearbeitung, anstelle des sonst üblichen Tatortprinzips. In der Praxis bedeutet dies, dass Polizei und Staatsanwaltschaft im HdJR grundsätzlich alle in ganz Hessen begangenen Straftaten von Jugendlichen und Heranwachsenden, die in Offenbach leben, bearbeiten. Hierdurch wird nicht zuletzt auch gewährleistet, dass die Ermittlerinnen und Ermittler die jungen Tatverdächtigen kennen, sofern sie mehrfach straffällig werden."

Zudem werden im HdJR die Programme "Besonders Auffällige Straftäter Unter 21" (BASU21) und "Mehrfach-/Intensivtäter" (MIT) umgesetzt. Das vorwiegend präventive Konzept BASU21 zielt durch intensive Betreuung und vernetzte Präventionsarbeit darauf ab, das dauerhafte Abgleiten von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden in die Kriminalität zu verhindern. Hierzu wird unter anderem ein enger Kontakt zu den minderjährigen Probanden und ihren Erziehungsberechtigten gepflegt. Parallel findet eine vertrauensvolle und enge Zusammenarbeit mit weiteren, für Jugendsachen zuständigen Behörden und Institutionen wie beispielsweise den Schulen statt. Im Unterschied zum präventiven Grundgedanken des BASU21-Programms erfolgt bei Jugendlichen und Heranwachsenden, die mit der wiederholten und deliktsübergreifenden Begehung von Straftaten auffällig werden die Einstufung in das MIT-Programm, um diesen Täterkreis letztendlich einer konsequenten Strafverfolgung zuzuführen.

"Zur Gefahrenabwehr finden in Abstimmung zwischen der Polizei und dem Jugendamt insbesondere regelmäßige Jugendschutzkontrollen an bekannten Treffpunkten statt. Hierzu gehören beispielsweise Parkhäuser, Grünanlagen, Schulhöfe, das Umfeld des KOMM-Einkaufszentrums sowie Lokalitäten, wie Spielotheken und Bars. Hierbei steht stets das Gespräch mit den angetroffenen Personen im Vordergrund, um Vertrauen aufzubauen und gegebenenfalls Hilfsangebote zu unterbreiten", so Bürgermeisterin Sabine Gross. "Ziel ist es, Kinder und Jugendliche, die sich an gefährlichen oder jugendgefährdenden Orten aufhalten, anzusprechen, über vorliegende Gefahren aufzuklären und Maßnahmen zur Abwehr bestehender Gefahren durchzuführen."

Die Staatsanwaltschaft ist mit einer Oberstaatsanwältin und zwei Staatsanwältinnen im HdJR vertreten und leitet die Ermittlungen im Strafverfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende unter Beachtung der Erziehungsgrundsätze des Jugendgerichtsgesetzes. Sie ist durch die räumliche Nähe in jedem Verfahrensstadium ansprechbar. "Hierdurch können Ermittlungsmaßnahmen bereits im Vorfeld abgestimmt und koordiniert sowie Schwerpunkte mit Blick auf eine sinnvolle erzieherische Verfahrensbeendigung in enger Zusammenarbeit mit der Jugendgerichtshilfe und der Täter-Opfer-Ausgleichsstelle gesetzt werden. Erscheint eine Intervention durch die Gerichte geboten, erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage und stellt in der Hauptverhandlung geeignete Anträge. Auch bei der Vollstreckung rechtskräftiger Urteile wird sie an relevanten Entscheidungen beteiligt und wirkt so bis zum Abschluss des Strafverfahrens an der Erziehung des betroffenen Jugendlichen oder Heranwachsenden mit", erläuterte Frau Leitende Oberstaatsanwältin Kerstin Reckewell.

Die Jugendhilfe im Strafverfahren ist mit vier Bediensteten des Allgemeinen Sozialen Dienstes des Jugendamtes der Stadt Offenbach im HdJR vertreten. Sie bietet vor, während und nach einem Strafverfahren Beratungen für Jugendliche, ihre Erziehungsberechtigten und Heranwachsende an, informiert über das Strafverfahren sowie dessen mögliche Folgen und vermittelt Hilfen zur Erziehung und Kontakte zu anderen Beratungsstellen. Neben der Erstellung von Sozialprognosen der Angeklagten bei ihren Gerichtsverhandlungen unterstützt sie beispielsweise auch bei der Zuweisung von Einsatzstellen zur Ableistung gemeinnütziger Arbeit.

Der Täter-Opfer-Ausgleich wird im HdJR durch eine Bedienstete des Diakonischen Werks Darmstadt vertreten. Hierbei erhalten Täter und Opfer von Straftaten die Möglichkeit, eine einvernehmliche, tragfähige und faire Einigung zu erarbeiten und den durch eine Straftat entstandenen persönlichen Konflikt zwischen den Beteiligten auf einer zwischenmenschlichen Ebene konstruktiv zu lösen. Dies geschieht beispielsweise in Form einer Entschuldigung oder durch den Abbau bestehender Feindbilder. Auch die Wiedergutmachung von Schäden durch Zahlung von Schadensersatz oder Schmerzensgeld sowie die Rückgabe von entwendeten Sachen, können zu einem gelungenen Täter-Opfer-Ausgleich beitragen.

Die Erfolge des HdJR - Strafverfahren beschleunigt und Jugendkriminalität gesenkt

Die kurzen Kommunikationswege ermöglichen es, die Ermittlungsverfahren effektiver und schneller abzuschließen und mit dem im Jugendstrafrecht verankerten Erziehungsgedanken für den Einzelfall passgenaue Unterstützungs- und Sanktionsmöglichkeiten zu erarbeiten. Der behördenübergreifende Ansatz einer konstruktiven und vertrauensvollen Zusammenarbeit sorgt zudem für eine größere Personenkenntnis und eine höhere Betreuungstiefe.

Auch die Präventionsarbeit konnte unter anderem dadurch gestärkt werden, indem die Zusammenarbeit mit Ämtern und Schulen sowie die Vermittlung von Angeboten der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen intensiviert wurden. Wie die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) der Jahre 2015 bis 2020 zu Straftaten von Personen unter 21 Jahren in Offenbach belegt, haben diese Möglichkeiten und Maßnahmen dazu geführt, die Jugendkriminalität nachhaltig zu senken. Die bereits positive Entwicklung von 2015 bis 2018 konnte durch die Einrichtung des HdJR noch gefördert werden, sodass in weiten Teilen bisherige Tiefststände erreicht werden konnten.

Die Zahl der Ermittlungsverfahren, bei denen Kinder mit strafrechtlich relevantem Verhalten in Erscheinung treten, befindet sich mit leichten Schwankungen immer auf einem niedrigen Stand. Kinder, die nach ihrer ersten begangenen Straftat mit dem HdJR zu tun hatten, werden in den meisten Fällen nicht mehr straffällig. Die Zahl der jugendlichen Tatverdächtigen hat sich in diesem Zeitraum von 572 auf 357 verringert. Parallel hierzu ging die Zahl der von Jugendlichen begangenen Straftaten um deutlich mehr als die Hälfte von 1.034 auf 471 zurück (- 54,5 Prozent). Diese Zahlen belegen zudem eine drastische Reduzierung der Mehrfachauffälligkeit. Begingen die ermittelten Jugendlichen in 2015 noch durchschnittlich 1,8 Straftaten, sind es 2020 nur noch 1,3 Delikte. Diese Entwicklung zeigt deutlich, dass der Jugendkriminalität durch den umfassenden Betreuungsansatz des HdJR effektiv begegnet werden kann.

Eine ähnlich positive Entwicklung ist für die heranwachsenden Tatverdächtigen festzustellen. Während in 2020 insgesamt 461 Personen dieser Altersgruppe strafrechtlich in Erscheinung getreten sind, waren es 2015 noch 794. Dies entspricht einem Rückgang von 42 Prozent. Auch die Zahl der von Heranwachsenden begangenen Straftaten hat sich in diesem Zeitraum von 1.186 auf 651 Straftaten reduziert, was einen Rückgang von 45 Prozent bedeutet. Ferner hat sich die Zahl der Verfahren, bei welchen ein Täter-Opfer-Ausgleich durchgeführt wird durch die Einrichtung des HdJR in etwa verdoppelt.

Fazit

"Das Konzept des HdJR Offenbach ist erfolgreich und trägt entscheidend dazu bei, die Jugendkriminalität im Stadtgebiet nachhaltig zu bekämpfen und auf einem niedrigen Stand zu halten, ohne dabei das Wohl der Jugendlichen aus den Augen zu verlieren", zeigten sich alle Verantwortlichen abschließend sicher, mit dem HdJR richtig aufgestellt zu sein.


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