Hanauer Landtagsabgeordneter Wissenbach verlässt AfD: "Diese Partei ist zu einer Schande für Deutschland geworden"

Politik
Typographie
  • Smaller Small Medium Big Bigger
  • Default Helvetica Segoe Georgia Times

Der Hanauer Walter Wissenbach ist nicht mehr Mitglied der AfD und verlässt damit auch die AfD-Fraktion im Hessischen Landtag. "Ich habe heute Abend nach Ende der 123. Plenarsitzung des Hessischen Landtages gegenüber dem Bundesvorstand der AfD meinen Austritt aus der Partei erklärt. Damit bin ich kraft Satzung seit gestern Abend auch nicht mehr Mitglied der AfD-Fraktion im Hessischen Landtag", erklärte Wissenbach am Mittwochabend.



"Ich habe mit diesem Schritt lange gezögert. Immer wieder hoffte ich auf positive Veränderungen in dieser Partei, die mich seinerzeit im März 2013 in Oberursel so faszinierte, dass ich spontan eintrat. Der Gründungsmythos Luckes ('Sie wurden nicht gefragt…') hatte mich überzeugt. Als sich wegen der zunehmenden, nicht nur für mich ärgerlichen Aktivitäten des sogenannten 'Flügels' in der AfD im Oktober 2017 die 'Alternative Mitte' in Tettau gründete, war für einige Zeit für mich wieder der Geist von Oberursel 2013 zu spüren. Wir wollten immer bürgerlich-liberale Vernunftpolitik statt ideologiebasierter Phantasmen von links oder von rechts verwirklichen. Ich hatte in den vergangenen nun fast zehn Jahren mehrere Parteifunktionen und – Ämter inne (zuletzt war ich Vorsitzender des AfD-Bundes-Parteischiedsgerichts), in denen ich daran arbeitete, die Partei in die richtige Richtung zu entwickeln. Nach wie vor halte ich eine Übernahme der AfD durch rechtsextreme Verfassungsfeinde nicht für wahr; das AfD-Parteiprogramm gilt und hat noch immer meine vollständige Zustimmung. Aber die Empörung über Sympathiebekundungen einzelner Parteifunktionäre zu rechtsextremen Organisationen und Positionen ist viel zu schwach oder gar nicht vorhanden. Meiner Meinung nach liegt das aber in den allermeisten Fällen nicht an echter rechtsextremer Gesinnung, sondern an intellektuellen Defiziten verschiedenster Ursachen und Arten. Ich habe mich all die Jahre beschimpfen lassen müssen als Antisemit, Antidemokrat, Rassist, Ausländer- und Minderheitenhasser. Auch im Parlament hielt es so mancher für einen tapferen Beitrag im antifaschistischen Kampf, meinen Gutenmorgengruß nicht zu erwidern. Das habe ich mit Gelassenheit ertragen. Schwerer zu ertragen waren Ton und Umgangsformen in der Landtagsfraktion, sowohl unter den Abgeordneten als auch gegenüber den Mitarbeitern. Vergeblich habe ich versucht, die vom Fraktionsvorstand mit Stasimethoden inszenierten Fraktionsausschlussverfahren gegen zwei der verdienstvollsten und respektabelsten Abgeordneten zu verhindern. Ich kämpfte – nicht nur in dieser Sache – gegen ein Geflecht aus Intrigen, Lügen und Fälschungen", so Wissenbach in einer persönlichen Stellungnahme.

Und weiter: "Auch das war für mich jedoch bis vor wenigen Tagen und Wochen allein noch kein Grund, mit der ganzen AfD zu brechen. Die hessische Landtagsfraktion steht ja nicht für die Gesamtpartei. Auch ich hatte zwar längst schon gemerkt, dass die Partei sich zu einer Versorgungsanstalt für in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckende, für normale Beschäftigungsverhältnisse außerhalb der Partei untaugliche Personen entwickelt hatte. Das ganze entsetzliche Ausmaß dieses Phänomens habe ich aber erst auf dem jüngsten Landesparteitag für die Aufstellung der AfD-Kandidatenliste für die Landtagswahl 2023 in Melsungen erkannt. Ich erschrak in Melsungen nicht nur darüber. Viel schlimmer empfand ich die Farce einer vorab bis ins Detail orchestrierten Wahl der Listenkandidaten für die Landtagswahl im Oktober 2023 auf der Grundlage vorab aufgestellter und den Delegierten als verbindlich dargestellter Listen. Für die meisten Listenplätze wurde erst gar kein zweiter Kandidat „vorgeschlagen“. Meiner Ansicht nach bestehen gute Erfolgsaussichten für eine Anfechtung der Ergebnisse der Aufstellungsversammlung. Ich war auch schon lange nicht einverstanden gewesen mit der Haltung der Partei in Hessen und im Bund zu Corona-Fragen. Für das öffentliche Raunen, die AfD stehe im Krieg in der Ukraine auf Putins Seite, hatte ich bis jetzt keine echten Beweise gesehen. Bis Dienstag letzter Woche. Seit 2013 hatten es alle anderen Parteien vermieden, ihrer als Drohung gemeinten Ankündigung, 'die AfD zu stellen', Taten folgen zu lassen. Darüber hat die AfD oft und nicht zu Unrecht gespottet. Aber am 29.11.2022 bekam der Bundessprecher der AfD endlich – wenn auch erst zu später Stunde – im ZDF 75 Minuten lang Gelegenheit, sich in öffentlichem Dialog den Fragen von Moderator Markus Lanz zu stellen. Seit diesem Medienereignis ist klar: Diese Partei ist zu einer Schande für Deutschland geworden. Ich werde künftig meine konstruktive Arbeit im Hessischen Landtag fortsetzen, soweit das einem partei- und fraktionslosem Abgeordneten rechtlich und tatsächlich möglich ist. Auf die absehbaren Aufforderungen meiner ehemaligen Fraktionskollegen zur Mandatsrückgabe antworte ich bereits jetzt: Nicht ich, sondern Sie sollten über die Rückgabe Ihrer Mandate nachdenken."

Die AfD-Landtagsfraktion äußerte sich in einer Pressemitteilung zum Austritt von Wissenbach und Rainer Rahn, der die AfD ebenfalls verlässt: "Seit langer Zeit weisen wir auf Anfrage darauf hin, dass wir in der Landtagsfraktion einen guten Zusammenhalt haben, aber zwei Kollegen unabhängig von der Fraktion eigene Prioritäten setzen. Beide Kollegen haben noch vor wenigen Wochen auf der Aufstellungsversammlung zur AfD-Liste für die Landtagswahl 2023 erfolglos kandidiert. Walter Wissenbach erhielt auf Listenplatz 1 27 von 192 Stimmen und Rainer Rahn auf Listenplatz 20 sieben von 190 Stimmen. Wären sie jetzt auch aus der Partei und der Fraktion ausgetreten, wenn sie bei der Listenaufstellung Erfolg gehabt hätten?", so der AfD-Fraktionsvorsitzende Robert Lambrou.

Und weiter: "Manche Kollegen treten unter wüsten Anschuldigungen aus der Partei aus, nachdem sie Machtkämpfe verloren haben oder sich auf wichtigen Aufstellungsversammlungen nicht mehr durchsetzen konnten. Viele Kollegen gehen jedoch souveräner mit solchen schwierigen persönlichen Erfahrungen um. Denen gehört unsere volle Hochachtung, denn diesen Kollegen geht es auch wirklich um die Sache. Die Vorwürfe von Walter Wissenbach und Rainer Rahn bilden nicht die Realität ab, sondern sind Ausdruck ihrer persönlichen Enttäuschung. Es wäre schön gewesen, wenn beide Kollegen wesentlich öfter zu Fraktionssitzungen gekommen wären und sich dort konstruktiver eingebracht hätten."


Ihnen ist etwas Interessantes aufgefallen im Main-Kinzig-Kreis? Schreiben Sie uns an info@vorsprung-online.de


Anzeige
Anzeige
Anzeige
Anzeige
Anzeige
Anzeige

online werben

Anzeige
Anzeige
Anzeige
Anzeige
Anzeige

vogler banner

Anzeige

vogler banner

Anzeige

Online Banner 300x250px MoPo 2