Lehrkräfte: Neues Schuljahr, alte Probleme

Politik
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Wie auch in den vergangenen Jahren nehmen die Vertreterinnen und Vertreter der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) im Main-Kinzig-Kreis und der Stadt Hanau eine vom Staatlichen Schulamt abweichende Perspektive zum Schuljahresbeginn ein und unterziehen die vom Amt gemachten Informationen einer kritischen Prüfung. “Erfreulicherweise ist die Berichterstattung zum neuen Schuljahr bereits kritischer als wir das aus den vergangenen Jahren gewohnt sind”, stellt Jörg Engels, Vorsitzender des GEW-Kreisverbands Hanau, eingangs fest.



Denn im vergangegenen Jahr wurde von Gewerkschaftsseite bemängelt, dass die Presseberichte weitestgehend der Darstellungsweise des Schulamtes gefolgt sind. Dieses Jahr erlebe man eine kritischere und differenziertere Berichterstattung, auch wenn beispielsweise von Amt und Presse wiederum nur die Zahl der neu eingestellten Lehrkräfte mitgeteilt wurde, ohne die Zahl derjenigen Lehrkräfte gegenüberzustellen, die den Dienst verlassen haben. Auch müsse erneut deutlich gemacht werden, dass Stellenzuweisungen keine Stellenbesetzungen bedeuten. “Stellen unterrichten keine Kinder, Menschen tun das. Wenn ich lese, dass der Bedarf an Lehrerinnen und Lehrern für den Grundunterricht ‘gut abgedeckt’ sei, was ist darunter zu verstehen?”, möchte Herbert Graf, GEW-Vorsitzender in Gelnhausen und Vorsitzender des Gesamtpersonalrats Schule am Staatlichen Schulamt, wissen. Es bleibe völlig unklar, ob damit der vollständige Unterricht nach Stundentafel, lediglich die Hauptfächer oder auch Stunden für die weiteren pädagogischen Aufgaben an den Schulen gemeint seien. Wahrscheinlich sei es in Hanau ähnlich wie im Schulamtsbezirk Frankfurt, aus dem zu lesen ist, dass die über den Unterricht hinausgehenden Zuweisungen etwa aus dem Sozialindex und zur Deutschförderung „herausfordernd“ seien.

Dass die Lehrerversorgung insbesondere an den Grundschulen auf solch solider Basis stehe, mag Anja Saling, GEW-Vorsitzende in Hanau, nicht ohne weiteres glauben. “Bei einem Anstieg um 1019 eingeschulte Kinder ergibt sich ein Bedarf von 40 bis 50 zusätzlichen Klassen, was einen Mehrbedarf an Lehrkräften in gleicher Höhe bedeutet. Wo kommen diese angesichts des seit Jahren nicht wegzuleugnenden Lehrkräftemangels her? An vielen Grundschulen kann der Unterricht nur mit befristet angestellten Lehrkräften gestemmt werden, die häufig nicht mal eine abgeschlossene Lehrerausbildung haben!“

Lehrkräfte arbeiten unter hohen Belastungen, die Folge sind immer häufiger Langzeiterkrankungen und immer öfter geben Kolleginnen und Kollegen aus Überlastungsgründen ihre Funktionsstelle in Schulleitungspositionen zurück oder quittieren sogar völlig den Schuldienst, stellt man von Seiten der Gewerkschafter fest. Auch blieben Schulleitungsstellen oft lange vakant und dem Kollegium werden dann weitere Aufgaben aus dem Schulleitungsbereich übertragen, um den Mangel auszugleichen. Dies führe ebenfalls dazu, dass Lehrerinnen und Lehrer immer weniger Zeit haben, sich um ihre Schüler zu kümmern. Hier sei dringend Abhilfe zu schaffen, an der Einstellung von zusätzlichen Verwaltungskräften gehe kein Weg vorbei.

Die erwähnten neu geschaffenen Studienkapazitäten könnten auf jeden Fall erst in vier bis fünf Jahren an den Grundschulen für zusätzliches Personal sorgen. Auch stelle sich die Frage, inwieweit der Lehrerberuf, wie er sich zeigt und von außen gesehen wird, noch attraktiv für junge Menschen sein kann, die in ihre Zukunft schauen? Bereits Praktikanten erleben das Umfeld Schule als hoch belastend. “Und da wir davon ausgehen müssen, dass man in Hanau und dem Main-Kinzig-Kreis nicht auf einen hessenweit einzigartigen Personalpool zugreifen kann, fällt mir nur die Vergrößerung der Klassen ein, um den Schüleranstieg aufzufangen”, mutmaßt Pyrola Dittmar, Vorsitzende des GEW-Kreisverbands Schlüchtern. Über Klassengrößen schweige man sich von Seiten des Amts allerdings aus. In den Intensivklassen für geflüchtete Schülerinnen und Schüler wurde der Klassenteiler bereits von 16 auf 19 Kinder hochgesetzt. Was dies für die Lehrkraft heißt, die hier ganz unterschiedliche Lernstandsniveaus antrifft – einige der Kinder sind nicht alphabetisiert – und eventuelle Traumata der Kinder unter einen Hut bringen soll, könne man sich gut vorstellen. Und auch in der inklusiven Beschulung sei man seit Jahren gewohnt, dass durch eine Erhöhung des Betreuungsschlüssels auf den Rücken der Lehrerinnen und Lehrer der Mangel verwaltet, aber nicht beseitigt werde. All diese Faktoren führen in den Kollegien zu kaum mehr zu ertragende Belastungen, wovor allerdings Schulamt und auch Kultusministerium die Augen verschließen.

Um so mehr ist es entscheidend, Seiten- und Quereinsteiger gut zu qualifizieren. Gut qualifizierte Quereinsteiger mit pädagogischen und didaktischen Kenntnissen können eine Bereicherung für die Schule und deren Bildungswege sein. Sie kommen oft aus der Arbeitspraxis und haben dadurch einen anderen Blick auf Schüler und deren Lernen. Diese aber im Schulalltag ganz neben allen weiteren Aufgaben an die besonderen Anforderungen von Schule heranzuführen, könnten die Stammkollegien allerdings nicht auch noch übernehmen.

Die digitale Ausstattung an den Schulen, insbesondere den Kreisschulen, verbessere sich tatsächlich kontinuierlich. Allerdings sollte die digitale Infrastruktur von Schule unbedingt von IT-Fachkräften begleitet und unterstützt werden, damit keine kostbaren Lehrerstunden dafür verloren gehen. Doch nicht nur hier sei festzustellen, dass das Arbeitsfeld der Lehrkräfte zunehmend erweitert wird, etwa auch durch Verwaltungsarbeit, so dass immer weniger Zeit für die eigentliche Aufgabe bleibt, nämlich die Zeit mit und für das Kind. “Nicht umsonst lautet unsere Gewerkschaftskampagne im Jahr der hessischen Landtagswahl ‘Zeit für mehr Zeit!’”, betonen die Gewerkschafter*innen. Um sinnvoll und zufriedenstellend arbeiten zu können, müssten die Arbeitsbedingungen an Schule so sein, dass die Lehrerinnen und Lehrer ihrer Hauptaufgabe, dem Lehren und mit den Schülerinnen und Schülern Lernen, nachkommen können. Die Unterrichtsvorbereitung darf nicht, wie es sich derzeit darstellt, unter ständigen bürokratischen und unterrichtsfernen Anforderungen leiden.

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Die GEW-Fraktion im Gesamtpersonalrat Schule am Staatlichen Schulamt Hanau/Main-Kinzig; vordere Reihe von links: Herbert Graf, Christiane Jarosch, Barbara Watteroth-Mann, Bernd Steinlein, Nicole Schleiff; hintere Reihe von links: Pyrola Dittmar, Ingabritt Bossert, Jürgen Rapp, Elisabeth Kretzschmar-Wegner, Elisabeth Dietz, Anja Saling, Jörg Engels.


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