Bauern-Protest: Die Positionen der Parteien im Main-Kinzig-Kreis

Politik
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Der Protestaktionen der Landwirte am Montag haben auch im Main-Kinzig-Kreis historische Dimensionen erreicht. Vermutlich hat in den vergangenen Jahrzehnten nur der Widerstand gegen das Atomdorf in Hanau in der zweiten Hälfte der 1980er mehr Menschen auf die Straße bewegt. Der Bauern-Protest richtet sich gegen die Politik der Bundesregierung, allerdings sind natürlich auch die lokalen Ableger der Parteien gefordert. Die Redaktion hat die Standpunkte im Main-Kinzig-Kreis zum Bauernprotest abgefragt.



„Aus Sicht der SPD Main-Kinzig sehen wir durch die vielfältigen weltweiten Herausforderungen und Krisenerscheinungen eine sehr starke Forderung für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Dies wird jeden und jede von uns – egal ob Arbeitnehmer oder Landwirt vor Veränderungen und Herausforderungen stellen, die jedoch verlässlich und planbar ablaufen müssen. Einsparungen in einem Haushaltsjahr vornehmen zu müssen, ist nie eine leichte Aufgabe – ob jetzt im Bund oder in einem Unternehmen – wir müssen aber alle gemeinsam unterstellen, dass die von uns gewählten Verantwortlichen dies in größtmöglicher und transparenter Art und Weise tun. Die derzeit vorgestellten Maßnahmen stellen für viele Betroffene starke Einschnitte dar. Sie zeigen vor allem auch den Spagat, die Masse der Bevölkerung nicht noch mehr zu belasten und Subventionen abzubauen. Das scheint erst einmal in der derzeitigen Lage der richtige Schritt zu sein. Allerdings – und daran muss gearbeitet werden – es braucht Verlässlichkeit und Planbarkeit. Das gilt nicht nur für die Landwirte, aber darüber sprechen wir ja gerade. Insofern sind die Proteste und Aktionen der Landwirtinnen und Landwirte nicht nur vollkommen legitim, sondern auch richtig“, erklärt der SPD-Kreisvorsitzende und designierte Vize-Landrat Andreas Hofmann. Die Sozialdemokraten erwarten aber eine klare Abgrenzung von antidemokratischen Kräften, die den Protest zu ihren Zwecken unterlaufen und missbrauchen möchten: „Wir Sozialdemokraten stehen für den Diskurs und einen starken ländlichen Raum im Main-Kinzig-Kreis, bei dem Landwirtinnen und Landwirte eine zentrale Rolle einnehmen. Generell ist uns im Main-Kinzig-Kreis wichtig, miteinander und nicht übereinander zu sprechen. So war es in den vergangenen Jahren beispielsweise immer möglich, bei Diskussionen rund um die Herausforderungen unserer Zeit im ‚Kleinen‘ gemeinsame Lösungen zu finden. Zu nennen hier vor allem das gemeinsame Vorgehen zwischen Landwirtschaft und Wasserschutz im Rahmen der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie oder auch was die Aktionen rund um die Biodiversität angeht. Uns ist wichtig, eine breite Sicht auf die Fragen einzunehmen, denn nicht alle Fragen der Bürokratisierung in Form von Regelungen der vergangenen 20 Jahre sind ohne Grund und Ziel entstanden und sind heute Grundlage des guten Arbeitens unserer Landwirte. Was es braucht, ist gegenseitiges Verständnis, Zuhören und gemeinsames Vorgehen. Das ist im Kleinen das, was im Main-Kinzig-Kreis gelebt wird, und könnte sicherlich eine gute Richtschnur für den Bund sein. Wir sind als die pragmatische Kraft in der Region bereit für ein gutes Arbeitsumfeld der Landwirte einzutreten und stehen für einen offenen Austausch gerne zur Verfügung.“

Deutliche Kritik an den Kürzungen der Agrarförderungen äußert der Koalitionspartner im Kreistag, die CDU Main-Kinzig: „Wir stehen wir fest an der Seite unserer Landwirte, die von den geplanten Kürzungen im Agrarsektor durch die Bundesregierung betroffen sind. Diese Hauruckaktionen der Ampel halten wir für falsch und verantwortungslos gegenüber unseren Landwirten. Denn unsere landwirtschaftlichen Familienbetriebe sind nicht nur unverzichtbar für die Lebensmittelversorgung, sondern sie prägen auch maßgeblich unser Landschaftsbild. Wir setzen uns daher für die vollständige Streichung dieser neuen Belastungen ein. Die Landwirte wurden in den letzten Jahren mit Auflagen stark belastet. Die stetige Abnahme landwirtschaftlicher Betriebe in Deutschland hat nicht nur wirtschaftliche, sondern auch tiefgreifende gesellschaftliche Folgen. Daher haben wir Verständnis für die Proteste, da es für viele Betriebe in unserer Heimat, die seit Generationen in Familienhand geführt werden, um das wirtschaftliche Überleben geht. Das hat auch unser Kreisbeigeordneter Winfried Ottmann (CDU) deutlich gemacht, als er die Landwirte im Rahmen ihrer Protestaktion am Montag in Gelnhausen zum Gespräch empfangen hat. Wir begrüßen an dieser Stelle auch die Stellungnahmen des Vorsitzenden des Bauernverbandes, der sich klar von rechtsextremen Teilnehmern abgegrenzt und zu friedlichen Protestformen aufgerufen hat. Dass sich unter anderem auch Handwerker, Spediteure und Gastronomen diesen Protesten angeschlossen haben, zeigt, dass in unserem Land gerade etwas gewaltig schiefläuft. Die wirtschaftlichen Aussichten sind düster, die Bundesregierung versagt dabei, Planungssicherheit für die Bürgerinnen und Bürger sowie für unsere heimischen Betriebe zu schaffen. Das ständige Hin und Her und die internen Streitereien der Ampelregierung rauben diesem Land die Zuversicht. Diese Unzufriedenheit entlädt sich gerade bei sehr vielen Menschen.“

„Mit der erfolgreichen Klage und den radikalen Einsparungen ist für die Bundesregierung klar, dass gespart werden muss“, war die komplette Streichung der Agrardieselsubventionen und der Kfz-Steuer für landwirtschaftliche Fahrzeuge aus Sicht des Kreisvorstandes der Grünen Main-Kinzig allerdings eine unverhältnismäßige Überbelastung einer Berufsgruppe. „Noch vor Beginn der Demonstration am 08.01.24 wurden Teile der Streichungen von der Bundesregierung zurückgenommen. Die Kfz-Steuerbefreiung bleibt bestehen und die Subventionierung des Agrardiesels wird schrittweise zurückgefahren. Wir als Grüne Main-Kinzig halten diesen Kompromiss für einen Schritt in die richtige Richtung. Es ist gut, dass die mit den Protesten verbundene mediale Aufmerksamkeit genutzt wird, um auf die Missstände im Berufsstand aufmerksam zu machen. Die vergangenen 30 Jahre wurden die Probleme in der Landwirtschaft von den vorherigen Regierungen nicht angegangen. Dieses lange ‚Weiter so‘ und Aussitzen der Probleme führt natürlich langfristig zu einer Anhäufung“, sagte der Kreisvorstandssprecher der Grünen Main-Kinzig, Thomas Gassen. Insgesamt sei die ganze Debatte sehr vielschichtig: „Einerseits hat die Streichung das Fass zum Überlaufen gebracht, andererseits ist die Landwirtschaft schon lange im Wandel, Großbetriebe nehmen immer mehr zu und kleine Familienbetriebe verschwinden immer mehr, diese Entwicklung gibt es schon länger als die Diskussion um Subventionsstreichungen. Auch die zunehmende Abhängigkeit von Subventionen und Preisvorgaben ist eine langfristige Entwicklung, die angegangen werden muss. Dies löst sich aber nicht von selbst oder durch kurzfristige Entscheidungen, sondern muss langfristig geplant und gezielt angegangen werden. Wir denken, dass diese Punkte bei den Demonstrationen deutlich geworden sind. Besonders hervorzuheben ist die klare Distanzierung von Gewaltbereitschaft und Patriotismus und der demokratische Ausdruck der Kritik der Bauernverbände. Die lauten antidemokratischen Einzelstimmen sind glücklicherweise stumm geblieben, was auf einen Erfolg der Proteste schließen lässt. Wichtig bei den Protesten ist die differenzierte Betrachtung der Situation, das Erkennen langfristiger Missstände und das demokratische Aushandeln von Lösungen.“

„Unsere Bundestagsfraktion bereits im Jahr 2022 nicht nur die Beibehaltung, sondern sogar eine Verdopplung der Agrardieselrückerstattung gefordert (Drucksache 20/3699)“, erklärt Jürgen Mohn für die AfD Main-Kinzig. Die Forderungen der Bauern, zumindest den Status Quo bei der Rückvergütung von Steuern zu erhalten, unterstütze die AfD vollumfänglich: „Die Landwirtschaft unterliegt den Weltmärkten und wir finden dort sehr unterschiedliche Rahmenbedingungen, größtenteils zum Nachteil deutscher Landwirte, vor. Die AfD steht daher zu Förderungen und Subventionen in der Landwirtschaft überall dort, wo sie sinnvoll und notwendig sind. Daher wird es immer wieder staatlichen Handlungsbedarf geben, um Wettbewerbsnachteile auszugleichen, denn und die deutschen Bauern sehen sich nicht nur weltweit, sondern auch innerhalb Europas mit massiven Wettbewerbsungleichheiten konfrontiert. Davon losgelöst, ist die aktuelle Situation des Agrardiesels zu betrachten. Das ist keine klassische Subvention. Es handelt sich hierbei um eine Vergünstigung von Steuern, die eigentlich dem Erhalt der öffentlichen Straßeninfrastruktur dienen sollen. Diese wird von Landmaschinen aber nur marginal genutzt. Der damit einhergehende Vorwurf, wir würden den Landwirten zwar unsere Unterstützung suggerieren, Subventionen in Wahrheit aber grundsätzlich ablehnen, greift daher in zweifacher Hinsicht ins Leere. Zum einen fällt die aktuelle Thematik nicht unter die klassischen Subventionen. Zum anderen hat der Bundestag bereits im Jahr 2022 unseren Antrag auf eine Verdopplung der Agrardieselrückerstattung abgelehnt.“

Die Freien Wähler Main-Kinzig halten an ihrer Forderung nach einer Rücknahme der geplanten Kürzungen zu Lasten von Landwirten und auch Handwerksbetrieben fest: „Wir freuen uns über die gut organisierten, gelungen und friedlichen Demonstrationszüge der Landwirte, mit denen diese erneut darauf hinweisen, dass ihnen bei Umsetzung der Berliner Beschlüsse, das Wasser nicht nur bis zum Halse steht, sondern bereits in den Mund läuft. Die Freien Wähler Main-Kinzig haben daher für die kommende Kreistagssitzung eine aktuelle Stunde zum Thema angekündigt. Hier soll sich dann auch der Kreistag nochmals eindringlich mit den Auswirkungen der Entscheidungen der Bundesregierung auf die Landwirtschaft im Kreis befassen und sich entsprechend zu unseren Landwirten positionieren.“

Die Pläne der Bundesregierung haben aus Sicht der FDP Main-Kinzig das Fass zum Überlaufen gebracht: „Die Landwirte wurden in den vergangenen Jahren durch verschiedenste Auflagen immer mehr in die Mangel genommen. Beispiele sind die Diskussionen um Glyphosat, Nitratbelastungen des Grundwassers, Pflicht zur Anlage von Blühstreifen, laufende Erhöhungen der Tierschutz-Standards, Belastungen durch den Wolf im ländlichen Raum, Schließung von Schlachtstätten usw. usf. Viele dieser Standards kommen aus Brüssel beziehungsweise wurden von den Vorgänger-Regierungen und nicht der Ampel eingeführt. Sie zeigen ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber den Landwirten und behindern eigenständiges wirtschaftliches Handeln. Zudem wird vielfach ohne Fachkenntnisse und mit Vorurteilen über die Belange der Landwirtschaft entschieden. Hinzu kommen der ökologische Umbau der Landwirtschaft – über dessen verpflichtende Umsetzung man sicher streiten kann – sowie der Klimawandel. Dazu kommen auch noch die Oligopole auf dem Lebensmittelmarkt, bei denen den Bauern Preise für ihre Produkte fast schon diktiert werden. Dadurch besteht kaum die Möglichkeit, Steuererhöhungen durch Preise der Endprodukte zu kompensieren. Die Bauern sind also in einer Situation, die weit über die aktuell bemängelten Punkte hinausgeht“, so der Kreisvorsitzende Daniel Protzmann.

Anders als die FDP Main-Kinzig hat sich Kreisausschussmitglied Dr. Ralf-Rainer Piesold (FDP) für einen Ausstieg der FDP aus der Ampel-Regierung in Berlin eingesetzt und positioniert sich auch zu den Bauern-Protesten eigenständig: „Die jetzigen Proteste haben eine historische Dimension, die bisher nicht häufig in der Geschichte der Bundesrepublik vorgekommen ist.  Ich habe vollkommenes Verständnis für die Bauernproteste, denn eine Streichung von Subventionen bedeutet immer eine Erhöhung der Abgaben. Insofern kann man wichtige Subventionen nur kürzen, wenn man die Abgabenlast senkt oder man gefährdet den wirtschaftlichen Standort.  Die Abgabenlast in Deutschland ist aber sehr hoch und deshalb sind die Ängste der Bürger berechtigt. Die Bauernproteste sind nur die Spitze des Protestes gegen einen ‚Nanny Staat‘, der bevormundet und dirigistisch arbeitet. Insofern muss sich die Politik grundsätzlich ändern oder die Proteste werden sich noch weiter verschärfen.“

Besonders die kleinen und mittelgroßen landwirtschaftlichen Betriebe stehen aus Sicht von DIE LINKE Main-Kinzig wegen der falschen EU-Strukturpolitik seit Jahrzehnten unter wachsendem wirtschaftlichem Druck industriell arbeitender Großbetriebe: „Dazu kommen die notwendigen, aber zu kurz greifenden und überbürokratisierten Anpassungen an den Klimawandel. Resultat ist ein Höfesterben, dass in den vergangenen 10 Jahren in Deutschland zum Verlust von 40.000 Betrieben und 90.000 Arbeitsplätzen geführt hat. Die ursprünglich von der Bundesregierung beabsichtigte und nicht durchdachte Streichung der Agrardieselsubventionierung und der Kfz-Steuerbefreiung waren nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Zwar darf die notwendige sozial-ökologische Transformation auch vor der Landwirtschaft nicht halt machen. Ein ‚weiter so‘ ist ökologisch und ökonomisch nicht verantwortbar. Aber das muss im Rahmen eines landwirtschaftlichen Gesamtkonzeptes stehen und sich am Stand der Technik orientieren. Das wiederum heißt, dass man sich der Erkenntnis nicht verschließen darf, dass die Landwirtschaft zu den Bereichen gehört, die - im Gegensatz etwa zu normalen PKW - noch längere Zeit auf Treibstoffe mit hoher Energiedichte angewiesen sind. Sinnvoll wäre deshalb der schnellstmögliche Umstieg auf E-Fuels. Doch wo sind die Fahrzeuge als Ersatz für Agrardiesel? Stattdessen durch die geplanten Maßnahmen die Kosten zu erhöhen, wie es die Bundesregierung vorhat, bedroht nur die Existenz weiterer kleiner und mittlerer Betriebe, schafft aber keinerlei Perspektive. Wenn es wirklich um Einsparungen geht, gäbe es andere Möglichkeiten, etwa beim Rüstungshaushalt, bei der Besteuerung von Kerosin oder bei der Abschaffung des Dienstwagenprivilegs. Ganz zu schweigen von den finanziellen Möglichkeiten, die eine Wiedereinführung der Vermögensteuer oder die Abschaffung der Schuldenbremse für Zukunftsinvestitionen darstellen würde. Für die Linke im Main-Kinzig-Kreis gilt wie für die Landespartei: wir unterstützen die Proteste der Landwirtinnen und Landwirte unserer Region.“


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