Fuß- und Radverkehrs-Konzept aus Sicht blinder Menschen

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Seit vielen Jahren sind vielerorts Bemühungen fehlgeschlagen, Radwege auf die Fahrbahn zu verlegen - das ist nicht nur für den Rad- und Fußverkehr allgemein von Nachteil, sondern besonders für blinde und sehbehinderte Personen, welche häufig alleine zu Fuß unterwegs sind.



Niveaugleiche Radwege, direkt angrenzend an den Gehweg stellen sich für blinde und sehbehinderte Menschen als eine sehr schwierige Situation dar. Taktil erkennbare Trennsteine sind in der Regel nicht vorhanden. Die Grenze Fuß- und Radweg ist nur optisch gekennzeichnet, taktil sind sie nicht wahrnehmbar. Blinde und häufig auch sehbehinderte Menschen können dadurch leicht versehentlich auf den Radweg geraten.

Schwierig sind aber auch Situationen, bei denen der Verkehrsraum gemeinsam genutzt werden muss, z. B. an Haltestellen und Kreuzungen, wo sich die Wege des Rad- und Fußverkehrs kreuzen, auf Bürgersteigen, die auch für den Radverkehr freigegeben sind. Im Normalfall regelt sich hier ja meist alles fast von selbst - man sieht sich und achtet gegenseitig aufeinander. Für blinde und sehbehinderte Menschen liegt aber genau hier die Gefahr: Weil der Radverkehr in der Regel nicht hörbar ist, können sie nur sehr begrenzt auf diesen reagieren und die Verkehrssituation nicht vorausschauend einschätzen.

Blinde und sehbehinderte Menschen müssen sich darauf verlassen können, dass die Radler und Radlerinnen für die Vermeidung von Gefährdungen sorgen - für die es aber oftmals schwierig ist, die Erblindung oder Sehbehinderung von Passanten rechtzeitig zu erkennen. Sehbehinderte Menschen führen keinen weißen Stock oder Blindenführhund mit sich, sondern bewegen sich langsam und suchend wobei sie häufig auf den Boden vor sich schauen.

Konkret sind es folgende Situationen, die der besonderen Aufmerksamkeit bedürfen:

Das Geräusch herannahender Fahrräder ist wie erwähnt für den blinden und sehbehinderten Personenkreis häufig nicht zu hören, so dass das Fahrrad erst in unmittelbarer Nähe bemerkt wird. Dies wird nicht selten als großer Schreckmoment wahrgenommen. Um dies zu vermeiden, ist ein  frühzeitiges Klingeln oder ein Zuruf sehr nützlich. Allerdings ist zu bedenken, dass blinde Menschen dadurch nicht unbedingt den Weg frei machen, sondern evtl. einfach nur stehen bleiben. Sie wissen vielleicht gar nicht, in welche Richtung sie sich bewegen müssten, um den Radweg freizumachen, und würden durch das Tasten mit dem Langstock die Radler und sich selbst gefährden.

Beim Passieren sollte der blinde oder sehbehinderte Mensch angesprochen werden, damit er weiß, dass das Fahrrad gerade vorbeifährt; ggf. auch mit dem Hinweis, dass noch andere Fahrräder folgen. Wichtig ist zudem, mit ausreichender Beleuchtung zu fahren, weil hierdurch ein Teil sehbehinderter Menschen das herannahende Fahrrad doch noch erkennt.

Bei Grünphasen für den Fußgängerverkehr an Kreuzungen fahren erfahrungsgemäß ggf. Radfahrer vor Fußgängern in hoher Geschwindigkeit vorüber, obwohl auch der Radverkehr das Grün für den Fußgängerverkehr beachten sollte. Das ist für alle Fußgänger unangenehm, für blinde und sehbehinderte Menschen, die sich beim Überqueren der Straße überdurchschnittlich konzentrieren müssen, stellt dies eine besondere Gefahr dar. Aber auch für die radelnde Person ist dies nicht ungefährlich: Kommt der Blindenstock zwischen die Speichen oder kommt es zu einer unmittelbaren Kollision ist oft kein Halten mehr.

Schlimmstenfalls stürzen Beide und landen mit großer Wahrscheinlichkeit im Krankenhaus. Und selbst wenn "nur" der Blindenstock kaputt ist - blinde Menschen haben dann keine Chance, ihren Weg selbständig fortzusetzen. Ein ähnliches Problem besteht, wenn Radfahrer plötzlich auf den Gehweg ausweichen. Steht eine blinde oder sehbehinderte Person am Straßenrand, ist ebenfalls davon auszugehen, dass die Person das herannahende Fahrrad nicht bemerkt. Auch in dieser Situation muss der Radler sich akustisch bemerkbar machen, indem die Klingel benutzt wird und beim Vorbeifahren etwas gesagt wird.

Auch abgestellte Fahrräder können zum Problem werden. Fahrräder sind mit dem Blindenlangstock schwierig zu erfassen. Bei einer Berührung kann das Fahrrad hinfallen und z. B. ein parkendes Auto beschädigen oder die Person verletzt sich z. B. an der Lenkstange. Am Boden liegende Fahrräder sind noch gefährlicher, weil blinde Menschen über derartige Hindernisse schon häufig gestürzt sind und sich erheblich verletzt haben. Dieser Sachverhalt trifft auch auf andere abgestellte oder herumliegende Objekte wie z. B. E-Scooter zu. Stehen Fahrräder oder E-Scooter an Blindenampeln, können die Ampeln von blinden und sehbehinderten Menschen nicht mehr genutzt werden, da sie direkt an den Drücker am Ampelpfosten kommen müssen, um die taktilen und akustischen Zusatzfunktionen zu aktivieren.

Blinde Menschen orientieren sich in der Regel an Leitlinien wie Bordsteinkanten, Häuserwänden oder Rasenkanten. Sind diese Leitlinien durch abgestellte Hindernisse unterbrochen, müssen sie sich jeweils neu orientieren und verlieren dann ggf. die Richtung. Orientierungshilfen, also kontrastreiche Rippen- und Noppenplatten, die zu Haltestellen und Fußgängerquerungen leiten und an denen sie sich mit dem Stock oder den Füßen orientieren, sind unbedingt freizuhalten, ansonsten verlieren die Leitstrukturen ihren Nutzen.

"Wir blinden und sehbehinderten Menschen brauchen die besondere Aufmerksamkeit von Radfahrern in diesen Situationen. Damit die Gefährdungen vermieden werden, benötigen wir die vorausschauende Einschätzung der Situation durch den Radverkehr. Wir hoffen, dass dieser Artikel die Radler für die besonderen Probleme blinder und sehbehinderter Menschen sensibler machen wird. Die Ausführungen bestätigen aus Sicht des Blinden- und Sehbehindertenbundes in Hessen e. V., dass die verstärkte Forderung nach separaten Radwegen oder Radspuren ebenso wichtig und notwendig ist wie die Aufhebung der Benutzungspflicht für den Radverkehr auf gemeinsamen Fuß- und Radwegen", so Silvia Schäfer, Vorsitzende der Bezirksgruppe  Hanau des BSBH.


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