Ein Kartentrick kann Leben retten

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Was haben die Brüder Grimm, bayerisches Volkstheater und die Palliative Patientenhilfe miteinander zu tun?



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Auf den ersten Blick nichts, in Hanau aber alles. Im Theaterstück „Der Brandner Kaspar und das ewig‘ Leben“, das am Samstag im Amphitheater eine umjubelte Premiere feierte, dreht sich alles um Leben, Sterben und Jenseits. Doch als volkstümliche Komödie mit viel Augenzwinkern nimmt sie dem Tod seinen Schrecken – Grund genug für den Hanauer Verein Palliative Patientenhilfe, sich genau dieses Stück auf den Spielplan der Festspiele zu wünschen. Intendant Frank-Lorenz Engel zögerte nicht, machte die Regie zur Chefsache und präsentierte den „Brandner Kaspar“ in der Reihe „Grimm Zeitgenossen“ mit toller Besetzung, bayerischem Charme und einem Blick ins Paradies.

Es sei „das außergewöhnlichste Stück, das es bei den Festspielen je gegeben“ habe, sagte Oberbürgermeister Claus Kaminsky, der ganz gegen seine sonstige Gewohnheit auch bei der vierten Premiere gemeinsam mit Intendant Engel das Publikum begrüßte. Da er aber in die Anfänge dieser Idee eingebunden gewesen sei, wolle er auch deren Entstehungsgeschichte erzählen: Die Anregung von Dr. Maria Haas-Weber, der Vorsitzenden des Vereins Palliative Patientenhilfe, den „Brandner Kaspar“ in dieser Festspielsaison auf die Bühne zu bringen, sei „auf offene Scheunentore“ gestoßen. „Frank-Lorenz Engel hat eine Hundertstelsekunde überlegt, bevor er zugesagt hat“, verriet Kaminsky.

Der Festspielleiter selbst hatte auch schon länger mit dem Stück geliebäugelt, erzählte Engel. Es gehe darum, Tod und Sterben aus der Tabuzone herauszuholen, und dafür sei die schwungvolle Komödie aus der Feder Franz von Kobells prädestiniert. Sie nehme den Tod humorvoll auf, gefalle durch Leichtigkeit, rege aber auch zum Nachdenken an.

Mit diesen Vorschusslorbeeren ausgestattet, erlebten die Zuschauer im Amphitheater zunächst Musik. Ein Solobläser stimmt das Publikum auf bayerische Lebensart des 19. Jahrhunderts ein: eine Jagd mit adeliger Beteiligung ist vorbei, der Hirsch, dessen Abschuss dem gekrönten Haupt zustand, leider nur mit einem Prellschuss verletzt worden und abgehauen. Nun muss das Tier gesucht, erlegt und als Trophäe überreicht werden.

In dem Getümmel wird der Brandner Kaspar (Hans B. Goetzfried) von einem Streifschuss getroffen – die Unachtsamkeit eines Jagdteilnehmers, wie es zunächst scheint. Tatsächlich aber hat hier der Tod, in bayerischer Mundart „Boanlkramer“ genannt, Mist gebaut. Er soll den 72-Jährigen ins Jenseits holen und hatte eigentlich die Kugel als Instrument vorgesehen. Nun muss der Boanlkramer (Dieter Gring) umdenken und besucht Kaspar in seinem Häuschen. An dieser Stelle mischte sich übrigens der reale Himmel über Hanau ein und steuerte punktgenau zum Auftritt von Gevatter Tod Blitz, Donner und trommelnden Regen bei. Besser hätte Frank-Lorenz Engel es nicht inszenieren können.

Nach dem ersten Schreck erinnert sich Schlitzohr Kaspar an Überlebensinstinkt und Verhandlungsgeschick und tritt die Flucht nach vorne an: Mit einem edlen Kirschschnaps macht er sein Gegenüber besoffen, findet immer neue pragmatische Argumente gegen sein Ableben im kommenden Sommer, Herbst, Winter und schafft es schließlich mit einem gezinkten Kartenspiel, den Boanlkramer zu übertölpeln. Sein Preis: Weitere 18 Jahre mitten im Leben. Gevatter Tod hält Wort, Brandner Kaspar erlebt einen zweiten Frühling, strotzt vor Gesundheit, ist als Wilderer gemeinsam mit Florian (Marcus Abdel-Messih), dem Verlobten seiner Enkelin Marei (Johanna Haas) unterwegs, saniert sich wirtschaftlich und wird nie erwischt.

Trotzdem misstrauen ihm viele im Dorf, vor allem Bürgermeister Senftl (Christian Fischer) und Jagdmeister Simmerl (David Lindermeier) – an Kaspars 75. Geburtstag stellen sie ihm eine Falle und locken Florian mit einem angeblich lukrativen Wilderei-Angebot in die Berge. Marei, die schon lange von der Wilderei die Nase voll hat, erfährt durch Wirtin Theres (Barbara Bach) von den tückischen Plänen und will ihren Geliebten retten. Dabei kommt sie ums Leben.

Der zweite Teil der Handlung nimmt die Zuschauer mit ins Jenseits: Opulent ausgestattet mit viel Gold, Brokat und jeder Menge geschäftiger Engel mit puscheligen Flügeln. Hier herrscht gute Stimmung, wenngleich der bayrische und der preußische Himmel sich gegenseitig mit Argwohn beäugen. Chef des Ganzen ist der Portner, also Petrus (Hartmut Volle), assistiert vom Gelehrten Turmair (Barbara Krabbe), dem heilig gesprochenen Nantwein (Detlev Nyga) sowie Erzengel Michael (Patrick Dollmann).

Als Marei ankommt, nehmen sie sich liebevoll ihrer an, zeigen ihr die Pforte, hinter der weltliche Gefühle verschwinden und gehen zuvor noch ihr Schicksalsbuch durch. Dabei kommt der Deal des Boanlkramers mit dem Brandner Kaspar ans Licht: Marei stirbt 18 Jahre zu früh, um die Frist für ihren puppenlustigen Großvater in der Bilanz auszugleichen.

Der Portner schäumt und ruft den Boanlkramer zum Rapport – klar ist: Kaspar ist jetzt reif. Gevatter Tod sucht ihn erneut auf und schafft es nun seinerseits mit einer List, den Kandidaten zur letzten Reise zu überreden. Überraschenderweise gefällt es Kaspar so gut im Jenseits, dass er bleiben möchte. Leider macht Erzengel Michael Schwierigkeiten und zählt aus dem Schicksalsbuch sämtliche Verfehlungen des schlitzohrigen Wilderers auf. Erst bei seiner letzten bösen Tat aber gibt auch der Portner, der dem Brandner bis dato sehr wohlgesonnen war, klein bei: Seinen eigenen Tod im falschen Kartenspiel zu betrügen, ist dann doch einer zuviel. Die heilige Dreifaltigkeit muss entscheiden.

Der Brandner Kaspar aber zeigt zum ersten Mal in seinem Dasein Einsicht und Reue und nimmt ein Urteil Richtung Fegefeuer an. Doch in letzter Sekunde wird noch alles gut: Das höchste Gericht des Paradieses hat sich über die Tatsache, dass Kaspar seinerzeit ausgerechnet Gevatter Tod unter den Tisch trank und übertöpelte, so amüsiert („Maria lacht immer noch“), dass seinem Einzug in den schönen bayerischen Himmel nichts mehr im Wege steht. Das letzte Wort, oder besser den letzten Schluck hat der „Boanlkramer“ – dem hat der Brandner Kaspar vor dem Weg ins Jenseits noch schnell den restliche Kirschschnaps zugesteckt.

„Das außergewöhnlichste Stück, das es je bei den Festspielen gegeben hat“, hatte Oberbürgermeister Kaminsky dem Publikum versprochen. Und das Ensemble hat das gehalten. Ob die durchgehend bayerische Mundart, die so manchen Zuschauer und sicher auch Schauspieler vor Herausforderungen stellte, ob musikalische Einlagen mit traditionellen Gesängen und Live-Instrumenten, ob wunderbar überzogen-paradiesische Ausstattung (Bühnenbild: Tobias Schunck) – die Inszenierung war vor allem im zweiten Teil voller Schwung und Leichtigkeit.

Das Thema Tod und Sterben, die Angst davor und die Frage nach dem Danach standen zwar die ganze Zeit im Fokus, ohne aber immer wieder betont zu werden. Und auch die Waage zwischen zu seicht und zu schwer blieb im Lot – auch leise Momente, etwa wenn Florian und Kaspar über Mareis frühen Tod verzweifeln oder wenn er Tod sich als einsames Wesen outet, wurden überzeugend ausgespielt.

Hervorzuheben sind Patrick Dollmann in seiner Darstellung als selbstverliebter, pedantischer Erzengel und Hartmut Volle als souveräner, gemütlicher Portner, der den Schalk im Nacken hat. Hier übrigens auch wie immer Ulla Röhrs und Wiebke Quenzel mit grandiosem Kostüm- und Maskenkönnen. Johanna Haas gefällt als Marei.

Auch die Nebenrollen sind mit Barbara Krabbe, Barbara Bach und Detlev Nyga sehr gut besetzt. Nichts aber reicht an das kongeniale Zusammenspiel von Hartmut B. Goetzfried und Dieter Gring heran - beide mit raumfüllender Bühnenpräsenz, präziser Darstellung, Spielfreude und absoluter Authentizität in ihren Rollen. Noch nie waren ein Wilderer und der Tod so sympathisch. Eben außergewöhnlich.

Foto: Erzengel Michael (links) zeigt dem Portner Kaspars Verfehlungen in dessen Schicksalsbuch.

Foto: Brandner Kaspar (links) löst mit Kirschschnaps Boanlkramers Zunge und überlistet ihn danach beim Kartenspiel.

Foto: Entzückend traditionell und stimmgewaltig: Die Edelweiß-Mädels

Fotos: Brüder Grimm Festspiele/Nix


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