Brüder Grimm Festspiele: „Hase und Igel“ begeistert als Familienstück

Fotocredit: Brüder Grimm Festspiele Hanau/Hendrix Nix

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Mit einem Einblick hinter eine „undurchdringliche Brombeerhecke“ in die vermeintlich heile Welt des Dorfes Wiesenthal hat am gestrigen Samstag die dritte Produktion der Brüder Grimm Festspiele in Hanau Premiere gefeiert. Bei schönstem Sommerwetter genossen mehr als 1000 Zuschauer die Geschichte von „Hase und Igel“ als Stück für die ganze Familie. Bereits am Freitag konnten sich die Darsteller über ein volles Haus zur Generalprobe freuen.



Im Rahmen einer Sozialvorstellung hatten zahlreiche Familien, ehrenamtlich Engagierte und Senioren der Hanauer Pflegeeinrichtungen Gelegenheit, die Uraufführung schon einen Tag vor der offiziellen Premiere zu sehen. Sie dankten es den Organisatoren und dem Ensemble mit toller Stimmung und stehenden Ovationen.

Die Handlung der Geschichte „Hase und Igel“ ist bekannt – grob geht es um einen Wettlauf zwischen dem schnellen Hasen und dem Igel, der zwar langsam, aber gewitzt ist und den Hasen mit Hilfe eines Doppelgänger-Manövers besiegt. Für die Hanauer Festspiele hat Jan Radermacher (Buch und Regie) die Handlung im beschaulichen Örtchen Wiesenthal angesiedelt und eine bunte tierische Dorfgesellschaft ersonnen. Das Dorf befindet sich natürlich nicht an einer Bundesstraße mit eigener Ausfahrt, sondern hinter einer „undurchdringlichen Brombeerhecke“, die regelmäßig auf ihre Dichtheit überprüft wird seit des „fürchterlichen Fuchsangriffs von 56“. Dieses Ereignis hat das Leben in Wiesenthal verändert – seitdem wird nicht nur alles nach dem Regelwerk im sogenannten „großen Buch von Wiesenthal“ ausgerichtet, sondern es gibt auch einen unangefochtenen Helden unter den Bewohnern: Konrad Lampe (wunderbar selbstverliebt dargestellt von Maximilian Gehrlinger). Der Hase hat seinerzeit, so sagt die Legende, den Fuchs besiegt und damit das Dorf gerettet. Dafür sind ihm ewiger Ruhm und Ehre gewiss. Konrad genießt seinen Status als bewunderter Superstar des Ortes, hat jede Menge Verehrerinnen und sogar eine eigene Merchandising-Linie mit Schals, Tassen und Schokoladenhasen. Ein Dorn im Auge ist er allerdings Thaddäus Krummbein (Fabian Baecker), dem tollpatschig-treuherzigen Igel, der unbeirrt neue Erfindungen auf den Markt bringt und damit immer wieder legendär scheitert. Alleine für seinen konsequent X-beinigen Igelgang hat Baecker schon eine Medaille verdient, aber auch sonst ist seine Darstellung des Stacheltiers klasse und sehr lebendig. Thaddäus kann das Geschwafel über die Heldentat nicht mehr hören und möchte an Stelle seines ehemals engsten Freundes Konrad an die Spitze des Dorfes gewählt werden. In seinem blinden Neid auf den Hasen schlägt er diesem einen Wettlauf vor – sehr zur Belustigung der Bewohner, die sich diesen ungleichen Kampf kaum vorstellen können.

Wiesenthal: Tierisch menschlich

Apropos „Bewohner“: Hier hat Rademacher eine Truppe erfunden, die in ihrer Charaktervielfalt menschlicher kaum sein könnte. Igelin Clementine (Elena Berthold mit starker Singstimme und Bühnenpräsenz) ist unglaublich schüchtern und wird von den vermeintlichen „Führungskräften“ im Dorf nach Herzenslust herumgeschubst. Maus Winifred van Piep (Barbara Bach) ist umständlich, beflissen bis kriecherisch, gewissenhaft und hält unbeirrbar an den Regeln des großen Buches von Wiesenthal fest. Die Zuschauer werden von ihrer Entwicklung am Ende überrascht – Bach schafft diesen Spannungsbogen mit Bravour. Kröte Gloria Grün (Victoria Grace Findlay) und Maulwurf Mo Buddler (Benedikt Selzner)  sind als echte Freunde von Thaddäus zwar auch nicht begeistert von seiner Idee mit dem Wettlauf (Gloria bemüht sogar ein Plakat mit beiden Tieren, um die Aussichtslosigkeit des Unterfangens zu untermauern: „Igel – kurze Stummelbeinchen, Hase – muskulöse Hinterläufe“), unterstützen ihn aber loyal sogar mit regelmäßigen Lauftrainings. Beide sind echte Sympathieträger, Selzner gibt den schwarzmalerischen Mo so überzeugend, dass man ihm am liebsten eine Selbsthilfegruppe empfehlen möchte. Die nervig-neugierige Sensationsreporterin, Gans Adelheid Schnatter (Sophie Göbel in Top-Form), ist natürlich immer und überall dabei, lichtet ab, stellt „investigative“ Fragen und hat eine klare Schwäche für Konrad Lampe.

Fotocredit: Brüder Grimm Festspiele Hanau/Hendrix Nix

Doch zurück zur Hanauer Handlung, die nun offenbart, dass in Wiesenthal einiges nicht so ist wie es scheint: Igel Krummbein trifft Reineke, den Fuchs (Dominik Penschek), der vorgibt, inzwischen vegan zu leben, eigentlich aber natürlich nur ein Schlupfloch in der „undurchdringlichen Brombeerhecke“ sucht, um zu wildern. Bevor der Fuchs den Igel trotz seiner angeblich umgestellten Ernährung schnappen kann, greift diesen ein bis dato Unbekannter ab: Dachs Grimbart (Detlev Nyga) wurde, laut Legende, beim berühmten Fuchsangriff von 56 getötet, lebt aber in einem geheimen Dachsbau und will seinerseits den Fuchs zur Strecke bringen. Nach Grimbarts Überzeugung hatte Hase Konrad den Fuchs damals reingelassen und den Dachsbau verrammelt, damit er selbst an die Wiesenthaler Spitze aufrücken konnte. Durch Zufall entdecken dann Mo und Gloria, dass es in der Brombeerhecke tatsächlich doch ein Loch gibt – dies hätte aber Konrad Lampe auf seiner jährlichen Inspektion sehen müssen. Zu allem Überfluss landen die beiden dafür vor Gericht, wo man ihnen unterstellt, einen Tunnel durch die Hecke gegraben zu haben. Thaddäus eilt herbei, erzählt alles, was er von Dachs Grimbart erfahren hat, aber keiner glaubt ihm, denn Konrad überzeugt alle von seiner Version – super gelöst mit mitreißender Salsa im Lied „Lügen haben krumme Beine“, die vom Publikum begeistert beklatscht wird. Die Freunde müssen ins Gefängnis.

Wer macht gemeinsame Sache mit dem Fuchs?

Nun reicht es dem Igel endgültig: Er bittet ausgerechnet Reineke Fuchs um Hilfe bei dem Wettrennen. Dieser kommt mit der bekannten List um die Ecke: Der Wettkampf wird mit Igel und Igelin bestückt, die jeweils an einem Ende der Strecke auftauchen und mit dem berühmten „Bin schon da“ dem Hasen den letzten Nerv rauben. Für Thaddäus wird ein Traum wahr, er ist jetzt der Star, der Chef des Dorfkommittees, kurz „ein Jemand“ („Da ich kein Niemand mehr bin, macht sich auch niemand mehr über mich lustig“). Doch während er sich am Ziel seiner Träume wähnt, entfernt er sich immer mehr von seinen Freunden und ist zudem mit dem neuen Amt komplett überfordert. Die Zuschauer werden Zeugen seiner Wandlung vom netten Igel von nebenan in einen mediengeilen Narziss – übrigens mit eigenem Merchandising mit Schokoladenigeln. Wen wundert es da, dass er selbst beim Heiratsantrag für seine Angebetete lieber in die Kamera als in ihre Augen schaut? Die Schlussphase der Inszenierung ist turbulent und enthüllt Erstaunliches: Hase Konrad, der nach dem Wettkampf im Rollstuhl sitzt, gesteht Thaddäus, wie wenig heldenhaft seine Rolle beim Fuchsangriff von 56 wirklich war und Winifred van Piep entwickelt sich vom zaghaften Mäuschen zum Zerberus mit einem Geheimnis, das hier nicht verraten wird. Einen Überfall des Fuchses überleben alle nur knapp und mit Hilfe des Dachses. Am Ende nimmt Konrad Lampe all seinen Mut zusammen und bittet seien Freunde um Verzeihung für viele Jahre des Betrugs und des Hochmuts. Der Schlusssatz steht symbolisch nicht nur für Wiesenthal, sondern für Vielfalt und Toleranz: „Wir alle haben unsere Stärken und Schwächen, aber das macht uns ja einzigartig.“

Mit „Hase und Igel“ ist dem Ensemble der Festspiele ein temporeiches Familienstück mit tierischen Sympathieträgern gelungen, das Tiefgang hat und ohne den moralischen Zeigefinger moderne Themen auf die Bühne bringt. Großartige Lieder wie „Aufgewacht“, „Der Club der Loo-Loo-Looser“ , „Lügen haben krumme Beine“ oder die traurige Ballade der Clementine „Du bist wer Du bist und das ist okay“ machen die Produktion rund und bieten Ohrwurm-Potenzial. Die Arbeit des Musik-Teams (Komposition: Timo Riegelsberger, Musikalische Leitung: Tobias Deutschmann) wird hier toll ergänzt von der Choreographie von Soufjan Ibrahim (Debüt als Choreograph). Das Bühnenbild (Hans Winkler) beweist einmal mehr seine Wandlungsfähigkeit und nimmt den Zuschauer direkt mit hinter die bekannte „undurchdringliche Brombeerhecke“. Tiere mit kleinen, liebevollen Details darzustellen, ist dem Dream-Team Kostümbild und Maskenbild auf den Punkt gelungen: Kerstin Laackmann, Antje Küper und Wiebke Quenzel haben hier wieder gezeigt, wie vielfältig und kreativ sie sind. Hanau kann sich glücklich schätzen, sie am Start zu haben.

Tickets für „Hase und Igel“ und alle anderen Produktionen gibt es bei allen bekannten Vorverkaufsstellen sowie online unter https://www.festspiele-hanau.de/festspiele.de/


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