IHK: Reichhold kündigt Abschied an

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Etwas mehr als 100 Gäste aus Unternehmen, Politik, Verwaltung und den Medien konnte die IHK anlässlich ihres ersten Jahresempfangs seit Ausbruch der Corona-Pandemie begrüßen.



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Die strengen Sicherheitsvorgaben beschränkten die Zahl der Gäste am Abend des 18. November im Congress Park Hanau deutlich. Das war schade, denn die Ideen und Argumente des Festredners hätten ein weit größeres Publikum verdient: Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer, Hirnforscher und Leiter der psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm sowie des Transferzentrums für Neurowissenschaften und Lernen, hatte Wichtiges mitzuteilen.

Eindringliche Warnung vor zu viel Digitalkonsum
Spitzers mit zahlreichen wissenschaftlichen Studien aus aller Welt unterfütterten Anmerkungen über die Risiken und Nebenwirkungen digitaler Informationstechnik für Körper, Geist und Gesellschaft mündeten in eine klare Warnung an Eltern und Großeltern: Kinder und Jugendliche sollten um Laptops, Smartphones und Tablets einen großen Bogen machen – jedenfalls fast vollständig. Nur wenige Minuten am Tag, maximal nur drei bis vier Stunden in der Woche, sonst nehmen ihre noch wachsenden Augen massiv Schaden – bis hin zu schwerer Kurzsichtigkeit (Myopie) in späteren Jahrzehnten. „Wir erleben gerade weltweit eine Myopie-Pandemie mit verheerenden Folgen, bis hin zur Erblindung in 40 oder 50 Jahren“, machte der Neurowissenschaftler seinen Zuhörern auf dem IHK-Jahresempfang bewusst. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene seien betroffen.

Bei Erwachsenen lauern andere Gefahren: Die digitale Informationstechnik macht ihre Nutzer nachgewiesenermaßen so süchtig wie harte Drogen. Die Folgen sind gravierend: So folgt auf den Bewegungsmangel Bluthochdruck und Diabetes. Eine gesündere Lebensführung setzt laut dem Mediziner und Erfolgsautor mehr mediale Sparsamkeit dringend voraus. Besonders ärgerlich ist für den Medizinprofessor, der unter anderem schon an der Harvard-Universität in Boston, USA, lehrte, dass viele aussagekräftige wissenschaftlichen Studien zum Thema zu wenig beachtet werden. Dabei zeigen diese deutlich auf, wie stark unsere Konzentration von der digitalen Informationstechnik beeinträchtigt wird. Aber nicht nur die Aufmerksamkeit leidet, es schleichen sich auch unnötige Fehler ein und zugleich vereinsamen die Menschen mehr und mehr. Besonders betroffen sind erneut die Kinder: Viele Studien belegen, dass ein überwiegend digitaler Unterricht gute Schüler nicht weiterbringt, aber schlechten Schülern sehr schadet. Der schulische Niedergang des einstigen PISA-Musterschülers Finnland sei eindeutig auf die starke Nutzung digitaler Formate im Unterricht zurückzuführen. Ähnlich schlechte Erfahrungen machten zuletzt viele hochentwickelte Staaten weltweit. Smartphone sind „Lernverhinderungsmaschinen“, die unsere „Kinder nicht nur krank, sondern auch dick und dumm“ machen, befand Spitzer.

Dass es bislang keine erstzunehmende Technikfolgenabschätzung für diese Geräte gibt, sei bezeichnend für den Einfluss von Lobbyisten, deren süchtig machenden Geräte auch zur gezielten Manipulation unserer Gesellschaften einladen. Die zu beobachtende Radikalisierung über die Social Media, das Anschwellen von Hate Speech und gezielte Desinformationen dienen laut Spitzer vor allem einem Zweck: Die Menschen psychisch an ihre Geräte zu fesseln, um Werbung verkaufen zu können. Skandale wie der um Cambridge Analytica zeigen, wie entschlossen die großen Player, vor allem Facebook, Amazon, Google, Apple und Microsoft, ihre Interessen verfolgen – ganz bewusst auch zu Lasten ihrer Kunden. Ungeachtet der gut nachvollziehbaren Warnungen sprach sich Spitzer aber auch für die modernen Medien und ihre Geräte aus: „Ich bin dafür, dass Digitalisierung allen Menschen dient und nicht nur ein paar Milliardären“, hob Spitzer hervor. Die Medizin weiß: Alles ist Gift und nichts ist Gift – es kommt auf die Dosierung an. Bei Tablets, Smartphones, Laptops und Social Media sollte die Dosierung künftig deutlich niedriger liegen, um Risiken und Nebenwirkungen zu vermeiden. Das gilt sowohl für Kindern als auch für Erwachsene, so der Rat des Medizinprofessors.

Letzter Jahresempfang als IHK-Präsident
Gleich zu Beginn nutzte Dr. Norbert Reichhold, Präsident der IHK-Hanau-Gelnhausen-Schlüchtern seit 2009, seine Ansprache, um auf seine bald endende Präsidentschaft hinzuweisen. Ende März kommenden Jahres legt Reichhold sein Ehrenamt aus Altersgründen nieder. Der dann 66-Jährige erinnerte daran, wie wichtig und – vor allem – wie befruchtend das Übernehmen von Ehrenämtern für Unternehmerinnen und Unternehmer ist. Er selber habe erheblich von seinen Ehrenämtern profitiert und sich persönlich weiter entwickeln können. Reichhold blickte zurück auf seine bald 13 Jahre Präsidentschaft – und auf viele wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen seitdem: Seit 2009 ist die Bevölkerung im Main-Kinzig-Kreis von 408.000 auf 421.000 gewachsen – im Schnitt um 1.000 Menschen im Jahr. Besonders stark waren die Zuwächse nicht nur bei den über 65-jährigen, sondern auch bei den noch nicht schulpflichtigen Kindern. „Noch stärker, nämlich um je 2.000 pro Jahr, ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auf jetzt 137.000 gestiegen“, ergänzte Reichhold. Mehr Einwohner, mehr Arbeitsplätze, eine um fast ein Viertel gestiegene Kaufkraft: „Es geht Hanau und dem Main-Kinzig-Kreis gut. Die meisten Menschen konnten vom Aufschwung der vergangenen Jahre profitieren. Aber das ist kein Argument, die Hände in den Schoß zu legen“, resümierte der scheidende IHK-Präsident.

Mit Blick auf künftige Vorhaben, zum Beispiel beim Ausbau der Infrastruktur, erinnerte Reichhold daran, dass manche Projekte einen langen Atem erfordern. Wichtig ist, dass die gesamte Region seit dem Kreistagsbeschluss vom 29. Oktober beim Ausbau der Schieneninfrastruktur mit einer Stimme spricht. Diese klare Positionierung werde der gesamten Region künftig helfen und „uns in den vielen anstehenden Gesprächen der nächsten Monate sehr nutzen“, zeigte Reichhold sich optimistisch. Das Erfolgsrezept „durch gemeinsame Aktivitäten von Politik und Wirtschaft die Region voranzubringen“, bewährt sich, so der IHK-Präsident. Auch bei der Breitbandversorgung der Unternehmen habe sich der Einsatz gelohnt. Die Unternehmen können nun ihre Projekte zur Digitalisierung besser verwirklichen. Das setze aber voraus, dass die Immobilienbesitzer sich bereit erklären, ihr Gebäude an das Glasfasernetz anschließen zu lassen – übrigens dank geschickter Nutzung von Fördermitteln durch den Kreis oft kostenfrei. Schnelle Internetanbietung im Gebäude sei wichtiger als gepflegte Vorgärten zu präsentieren.

Mit Blick auf den Fachkräftemangel und den Zustrom sowie die Integration von geflüchteten Menschen forderte Reichhold Lösungsvielfalt. Es gebe kein Patentrezept. Damit der Spessart mit seinen Stärken von den Menschen als attraktiver Arbeits- und Lebensraum stärker wahrgenommen wird, beteiligt sich die IHK an der Imagekampagne der Spessart Tourismus und Marketing GmbH. Es sollen nicht nur junge Fachkräfte gewonnen, sondern auch die hier lebenden gehalten werden. Abschließend rief Reichhold die Anwesenden dazu auf, die Herausforderungen des Klimawandels erst zu nehmen. Jede reine Leistungsgesellschaft ohne Gemeinwohl und Blick auf künftige Gefährdungen müsse irgendwann scheitern. Ein passives Abarten und Hoffen auf gute Entscheidungen der Politik werde nicht reichen.

Foto: IHK-Präsident Dr. Norbert Reichhold (l.) dankt dem Neurowissenschaftler und Buchautoren Professor Dr. Dr. Manfred Spitzer (r.) für seine prägnanten Ausführungen. Nachweis: IHK


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