Wie dem drohenden Ärztemangel begegnen

Wetterau
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Die Aussichten sind besorgniserregend: In ländlichen Regionen droht aufgrund der Alterung der Hausärzte und dem geringen Interesse von Ärzten und Ärztinnen in Weiterbildung an einer Zukunft in einer Einzelpraxis in der Provinz eine medizinische Unterversorgung.



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Das Projekt „Landtage in Hessen“ will Wege aufzeigen, wie dem drohenden Medizinermangel entgegengewirkt werden kann. Seine Ansätze, Vorhaben und Ziele stellte die Soziologin Jana Groth von der Universität Marburg jetzt im LEADER-Arbeitskreis „Lebensraum Dorf“ vor. Die Wirtschaftsförderung Wetterau (wfg) selbst, als Träger der LEADER-Regionalentwicklung, hat „pragmatische Wege der Unterstützung“ erarbeitet, wenn es darum geht einen neuen Hausarzt zu finden, die betroffene Kommunen bei ihr abrufen können. Als Ansprechpartnerin steht wfg-Mitarbeiterin Angelina Fernando zur Verfügung.

„Das Image des Allgemeinmediziners muss aufpoliert werden“, ist sich Dr. Reinhard Eissner sicher. Seit 20 Jahren hat der Mediziner seine Praxis in Ortenberg. Auch er sucht einen Nachfolger. Allein: Nur sechs Prozent der hessischen Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung (ÄwI) sehen ihre Zukunft als Allgemeinmediziner. Wie aber sieht das Bild vom Landarzt aus, und was können Kommunen und Landkreise tun, um medizinischen Nachwuchs zu überzeugen, dass es sinnvoll und lohnenswert ist, in der Provinz zu wirken.

Gemeinschaftspraxen und Teilzeitarbeit gewünscht

Rund 230 ÄiW hat Jana Groth in einer Online-Umfrage danach gefragt, welche Faktoren ihre Motivation für eine Niederlassung im ländlichen Raum erhöhen könnte. 128 Rückmeldungen hat sie bekommen. Überraschend: Rund 77 Prozent könnten es sich generell vorstellen, auf dem Land zu arbeiten. Allerdings müssten die Voraussetzungen stimmen. 77 Prozent der Befragten wünschten sich eine Gemeinschaftspraxis, 62 Prozent eine Tätigkeit in Teilzeit. „Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein ganz wichtiger Faktor“, erklärt Groth. Gerade für Frauen, deren Anteil unter den Medizinabsolventen in Hessen 77 Prozent beträgt. Weitere Kriterien: die Nähe zu einer größeren Stadt, eine höhere Vergütung der Landarzttätigkeit, eine kostenlose Praxisübernahme sowie Mitstreiter für gemeinsame Niederlassungen.

Für die Soziologin Groth Basisdaten, auf denen das Programm der „Landtage in Hessen“ für Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung aufgebaut werden kann. Pro Jahr ab 2019 sind sechs solcher Seminartage in den Landkreisen Waldeck-Frankenberg, Schwalm-Eder, Werra-Meißner, Odenwald und Vogelsberg. Das Projekt der Universität Marburg, Abteilung für Allgemeinmedizin, ist zunächst auf drei Jahre befristet. „Unser Ziel ist es, die ländlichen Regionen in Hessen und Ärzte und Ärztinnen in Weiterbildung miteinander zu vernetzen und für eine ländliche Tätigkeit zu motivieren.“

In Infrastruktur investieren, für neue Praxismodelle werben

Welchen Beitrag können Kommunen und Landkreise dabei leisten? Die Projektleiterin benennt sie: Investitionen in die Infrastruktur (Kindergärten, öffentlicher Personennahverkehr, schnelles Internet, Handyempfang), eine frühzeitige Planung der Übergabe von Praxen, Unterstützungsangebote für niederlassungswillige Ärzte, Werbung für neue Praxismodelle, die Gründung von Medizinischen Versorgungszentren. Aber auch die Medien sind gefragt, wenn es um die Darstellung des Berufsbildes Hausarzt geht. Groth: „Da gibt es viele Klischee-, wenn nicht gar Horrorvorstellungen, die mit der Realität nichts zu tun haben.“ Eine drohende 60 bis 70 Stunden-Woche, verlassener Einzelkämpfer auf verlorenem Posten zu sein. „So ist das nicht mehr“, unterstützt Reinhard Eissner die Koordinatorin der „Landtage in Hessen“. Beispielsweise seien die Bereitschaftsdienste über die Notdienstzentrale so gut geregelt, „dass ich nur noch ein bis zweimal wöchentlich Bereitschaft habe.“

Auf seiner nächsten Sitzung wird sich auch der Gesundheitsausschuss des Wetteraukreises mit der Sicherung der medizinischen Versorgung in der Wetterau beschäftigen, wie Christian Sperling, Fachbereichsleiter Regionalentwicklung und Umwelt beim Wetteraukreis, mitteilte. Thema werden dabei unter anderem neue Förderangebote des Landes sein, „von denen wir prüfen müssen, was auf den Wetteraukreis passt.“ Die Ärzteversorgung sichern müsse allerdings die Kassenärztliche Vereinigung.

Neue Ärzte für rund 12000 Patienten nötig

Zum Stand vom 30. Juni 2017 weisen die Zahlen der KV 661,45 Versorgungsaufträge = Arztsitze in der Wetterau auf. Und die sind sehr unterschiedlich verteilt. So hat Glauberg mit drei Arztsitzen bei 3032 Einwohnern einen fiktiven Versorgungsgrad von 163,96 Prozent, Echzell bei 5700 Einwohnern mit zwei Arztsitzen einen solchen von 58,94 Prozent. Die Crux: Ist eine Gemeinde „unterversorgt“, die Nachbarkommunen aber „überversorgt“, wird gegeneinander aufgerechnet. Ein Vorgehen, das manchem nur wie ein Zahlenspiel vorkommt, aber nicht der Tatsache Rechnung trägt, dass in der Wetterau in den nächsten zwei bis fünf Jahren zehn- bis zwölftausend Patienten einen neuen Arzt benötigen werden.

INFO

Das europäische LEADER-Programm unterstützt ländliche Regionen in strukturschwachen Räumen. In der aktuellen Förderperiode 2014 bis 2020 stehen für 17 Kommunen aus der Region Wetterau/Oberhessen 2,1 Millionen Euro für innovative Projekte und Vorhaben zur Verfügung. Jüngstes gefördertes Projekt: das Backhaus in Gedern. Im LEADER-Arbeitskreis „Lebensraum Dorf“ stehen Themen und Vorhaben im Mittelpunkt, die die ländliche Struktur im Fokus haben, wie das Forschungsprojekt „Dorf und Du“. In ihm arbeiten die Kommunen Butzbach, Nidda und Ortenberg in Kooperation mit der Universität Gießen, unterstützt von der Wirtschaftsförderung Wetterau, an einer „Regionalstrategie Ortsinnenentwicklung“, um die Attraktivität der Dörfer und Stadtteile zu sichern oder zu erhöhen.

Foto: Referentin des Abends: Jana Groth – Soziologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Philipps-Universität Marburg – Abteilung Allgemeinmedizin.


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